: Israel/Palästina-betr.: Antisemitismus in der Intifada-Solidaritätsbewegung und das Thema Israel-Boykott
betr.: Antisemitismus in der Intifada-Solidaritätsbewegung und das Thema Israel-Boykott
Kritik an den Geschehnissen in Israel und in den von Israels Armee besetzten Gebieten, an der brutalen Unterdrückung der PalästinenserInnen zu üben, ist wichtig und notwendig. Diese Kritik und der Protest darf jedoch nicht dazu führen, daß eine politische Solidarität eingefordert wird, sich ohne Fragen und Zweifel auf die palästinensische Seite zu stellen, die der Intifada.
Sichtbarer Ausdruck eines, in sehr bedenklicher Form geäußerten Engagements zum Krieg in Israel/Palästina sind die zahlreichen Boykottaufrufe zu isrealischen Waren in West -Berlins Straßen, an verschiedenen Geschäften, zu Veranstaltungen. Mit diesen Aufrufen häufig plakativ verbunden ist das Symbol des Judensterns. Dabei ist offensichtlich, erschreckend und schmerzhaft deutlich, daß es nicht als unterschiedlicher Stil und Inhalt auffallen würde, wenn noch jemand „SS“ oder Hakenkreuze dazumalt. Welcher konkrete Unterschied besteht? Ein Beispiel. Im Schaufenster eines politischen Buchladens in Berlin 36 war bis jetzt ein Plakat zu sehen, auf dem, mit arabischer Schrift erläutert, zwei Palästinenser mit Gewehren auf eine Zielscheibe zielen. Diese Zielscheibe ist ein zerfetzter Judenstern. Auf den antisemitischen Symbolismus angesprochen, reagieren die im Buchladen (LadnerIn und BesucherInnen) mit heftiger Abwehr und Arroganz der politisch radikalen, richtigen Position. Zu erfahren ist letztlich nicht mehr als „darüber diskutieren wir nicht mit dir“, „hör doch auf mit dem alten Schrott, du hast es hier mit aufgeklärten Leuten zu tun“ und „ich verkaufe hier Bücher“.
Zionismus wird auf Plakaten und Flugblättern gleichgesetzt mit Apartheit und Faschismus.
Es geht mir darum, deutlich zu machen, nicht ob wir als Deutsche zum Konflikt Israel/Palästina etwas Konkretes zu sagen haben, sondern wie wir das tun und dieses Tun gegebenenfalls auch hinterfragen. (...) Ich will, daß unser Engagement nicht unbemerkt dazu beiträgt, Antisemitismus zu bestärken, wie das bisher durch die Boykott-Aktion zu befürchten ist. Hier kann leicht in die Intifada die deutsche Faschismus-Verdrängung mit hineingelegt werden.
Solidarität mit der Intifada muß nicht automatisch bedeuten, daß nur die palästinensische Seite gesehen wird mit der dort geforderten Konsequenz: „Alles oder nichts“ „Wir oder sie“.
Bedenken. Das Problem des solidarischen Verhaltens im Israel/Palästina-Konflikt macht wieder deutlich, daß in Deutschland kein politisches Denken und Handeln möglich ist, ohne die Bereitschaft, die Realität von Faschismus damals und heute ins Bewußtsein zu rufen. Wann immer das verleugnet und abgelehnt wird, ist vorauszusehen, daß eine solche Politik, auch eine links-revolutionäre, gefährlich wird, daß ihr menschenfeindliche, regressive und destruktive Bestrebungen innewohnen. Die in der Boykottaufforderung spürbare Ignoranz und Einseitigkeit der Bereitschaft, zu einer menschlichen Lösung in diesem Krieg beizutragen, zeigt bisher eine Oberflächlichkeit und eine Schablonenhaftigkeit in der ganzen Thematik, die dem Antisemitismus rechtsstehender Gruppen und Einzelpersonen in Deutschland oft um weniges nachsteht.
Welche Bedeutung hat die Darstellung des Judensterns als Symbol für Israels Militärpolitik? Wie kommt es, daß dem palästinensischen Volk im politischen und praktischen Kampf das Recht auf nationale Selbstverwirkung zugesprochen wird (was das Recht jedes Volkes ist), aber mit „Begründungen“ auf der anderen Seite den Juden abgesprochen wird? Wer, speziell in Deutschland oder sonstwo auf der Welt, hat das Recht, von den Israelis zu fordern, daß sie als einzige Nation auf dieser Erde ihren eigenen Staat wieder aufgeben sollen?
Eine solche Forderung ist entsetzlich absurd, verleugnet sie doch alles, was Isarel bedeutet. Indem sie verleugnet, daß das Nazideutschland einen Vernichtungskrieg gegen die Juden geführt hat, wird da nicht auch die grausame Realität des Krieges heute nicht gesehen? Dieser Krieg kann weiter angestachelt werden, indem die Intifada mit antisemitischen Gedanken, Parolen und Aktionen unterstützt wird. Ich möchte darüber nachdenken, welche Formen von Engagement so unterstützend sind, daß sie dazu beitragen, ein friedliches Zusammenleben von verschiedenen Völkern herbeizuführen. Antisemitismus ist integraler Bestandteil der bestehenden Gewaltsysteme, ebenso wie Rassismus und Sexismus. Es kann doch nur im Interesse der Militärs liegen, wenn sich der Konflikt weiter zuspitzt und international polarisiert. Das will ich nicht! Das unterstütze ich nicht!
Helga Schmidt, Berlin 61
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