: Zwangssterilisation für Behinderte
Bonn: „Nicht Einwilligungsfähige“ sollen zwangssterilisiert werden können / Auch „andere Bevölkerungsgruppen“? ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Das Kabinett in Bonn entscheidet heute über ein Thema von höchster Sensibilität: Die Sterilisation von Behinderten ohne deren Einwilligung, weil sie als „nicht einwilligungsfähig“ eingestuft werden. Der geplante Paragraph ist Teil des „Gesetzes über die Betreuung Voll jähriger“ und galt bisher auch unter den beteiligten Ministerien für Justiz und Gesundheit als umstritten.
Der bisher bekannte Gesetzentwurf sieht vor, daß die Betreuer von Behinderten anstelle der Betroffenen in die Sterilisation einwilligen können, wenn dadurch eine Schwangerschaft vermieden wird, die unter die Notlagenregelung des Paragraphen 218a fallen würde. Konkret träfe dies etwa für eine behinderte Frau zu, von der angenommen wird, sie könne ein Kind unter den gegebenen Umständen nicht aufziehen. Die GegnerInnen des Gesetzentwurfs aus Behindertenbewegung, Psychiatrie und Justiz halten dagegen: Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gilt auch für Behinderte; der Begriff der „Nichteinwilligungsfähigkeit“ ist völlig verschwommen und verneint die Entwicklungsfähigkeit der Betroffenen; Behinderte haben wie Nichtbehinderte das Recht, Kinder zu bekommen, und dazu seien ausreichende Betreuungsangebote zu schaffen. In einem Appell an Justizminister Engelhardt wird an die NS-Eugenik erinnert: Mit dem geplanten Gesetz werde ein Instrumentarium geschaffen, „das eine Ausdehnung und Ausweitung auf andere Menschengruppen vorprogrammiert“. Der Appell trägt auch Unterschriften von Zwangssterilisierten der NS-Zeit. Auch die bisherige Gesundheitsministerin Süssmuth hatte den Sterilisationsparagraphen als nur „vermeintliche Schutzmaßnahme“ kritisiert.
Möglicherweise, so deutete sich gestern in Bonn an, kommt es heute zu einem Kompromiß, der eine Zwangssterilisation nur noch als Ausnahme zuläßt. Voraussetzung für eine Sterilisation wäre nach dem Kompromißmodell eine lebensbedrohliche Gefahr für die Schwangere oder eine schwerwiegende körperliche oder seelische Beeinträchtigung durch die Schwangerschaft. Diese Diagnose müßte von zwei Gutachtern gefällt werden. Professor Klaus Dörner von der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psych iatrie meinte dazu gestern, Gut achter seien kaum fähig, über ein ganzes künftiges Leben zu urteilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen