: DAS WUNDERKIND IM WALD
■ Jiri Georg Dokoupil in der Galerie Nikolaus Sonne
„Bäume, Bäume, nichts als Bäume
und dazwischen Zwischenräume.
Und dahinten, man glaubt es kaum,
noch ein Baum.“
Fluchtpunkt Teneriffa, der Wald: dorthin hat sich Jiri Georg Dokoupil verzogen, um in des Waldes Dunkel einen neuen Stil zu gebären. Heraus kam er als Maler, dem bescheiden und nahe dem Funken göttlicher Schaffenskraft das Studium der Natur alles bedeutet.
Jiri Georg Dokoupils Markenzeichen ist die Überraschung, das plötzliche Ändern seines Stils. Das dem Kunstmarkt so wertvolle Kennzeichen der persönlichen Handschrift führt er ad absurdum - und eignet es sich im Negativ wieder an. Dokoupil, 1954 geboren und damit jung für den Ruhm, gehörte schon vor einigen Jahren zu den Protagonisten der „Neuen Wilden“ und schob zwischenzeitlich eine Phase der Konzept -Kunst ein. Sich immer neue Techniken des Bildermachens einverleibend, gleicht er einem Chamäleon. Die Kommentatoren, die nicht umhin können, vom subjektiven Erleben oder von der philosophischen Konsequenz des gerade in Rede stehenden Künstlers zu phantasieren, werden aufs Glatteis geführt. Neu ist, was Dokoupil treibt, vor allem für ihn selbst - und wenig kümmert ihn, daß sein gerade aktueller Stil schon von anderen besetzt wurde. Seinen internationalen Erfolg dokumentieren unter anderem Einzelausstellungen bei Paul Maenz in Köln, Leo Castelli und Ileana Sonnabend in New York.
Nikolaus Sonne, der nun von diesem großen „Kind“, das sich „Selbst, blauäugig“ in einem Porträt vorstellt, unbedingt die neueste kulturelle Eroberung in Dokoupils erster Berliner Einzelausstellung den staunenden „Erwachsenen“ vorführen wollte, besuchte diesen Maler auf Teneriffa und riß ihm den Skizzenblock fast aus der Hand. Ganz frisch landete die Serie der waldigen Zeichnungen auf den Wänden der Galerie.
Dokoupil hat sich in den Wald gestürzt mit dem Eifer einer ganzen fortgeschrittenen Zeichenklasse, die allerdings käme sie möglicherweise auch zu ähnlichen Ergebnissen keine Chance hätte, in dieser Galerie gezeigt zu werden. Intensiv läßt er sich auf das Studium der Natur ein, lebt in jedem Blatt des Zeichners Lust am Zeichnen aus und läßt sich durch alle heute automatisch auftretenden Assoziationen zum Thema Wald diesen Gegenstand als pures Objekt seiner Bilderwut nicht nehmen. Er zeichnet mit Kohle auf Papier: darin, daß beide Materialien aus dem Wald, dem Holz stammen, sozusagen „Wald“ in einem anderen Aggregatzustand sind, blitzt noch einmal die Spur des konzeptuellen Künstlers auf. Sein Wald besteht aus Licht und Schatten: gestaltendes Mittel des Zeichners und zugleich Wachstumsenergien des Waldes. Ein einzelner Wipfel gegen den Himmel, die Nahsicht auf einen borkigen Stamm, von dem man weder Wurzel noch Krone sieht - diese erfaßten Einzelheiten sind sparsam in die Wald-Totalen eingeschnitten. Da steht Stamm neben Stamm, verdichtet sich dunkel, lichtet sich, wirft rhythmische Schattenmuster. In diese konstruktiv bis minimalistisch auf die Idee des Waldes reduzierten Striche bringt manchmal eine Schlingpflanze einen Hauch der Weichheit des Jugendstils. Anders als Rainer Fetting, der seine Waldlandschaften vor kurzem in der Galerie Raab vorstellte, sucht Dokoupil darin keine Bühne des inneren Erlebens zu gestalten. Manche seiner Wälder erstehen auf Millimeterpapier, und auf diesem zeichnet er in Andeutung einer botanisch interessierten Vertiefung in den Gegenstand auch einzelne Blüten, wie man sie zuletzt vielleicht im Apothekerkalender von einem 70jährigen Studienrat gemalt sah. Die Serien der Wälder und die Studien der Nelken, denen ich nun doch voll auf den Leim gegangen bin und etwas von ihner Besonderheit vorgeschwärmt habe, zeigen sich in der Galerie als wunderbare Einheit, werden nun aber wohl einzeln verkauft und zerstreut. Der Katalog, ohne Text, gibt sich bescheiden wie ein grauer Skizzenblock, mit den grünen Buchstaben der industriellen Blöcke schlicht „Dokoupil. Drawings II“ betitelt. Es fehlt nur noch das mit Liebe gesammelte, gepreßte, eingeklebte und vom Künstler signierte Blütenblatt.
Katrin Bettina Müller
Dokoupil, Zeichnungen, bis zum 4. März in der Galerie Sonne, Di-Fr 11-13 und 15-18.30, Sa 11-14 Uhr.
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