piwik no script img

MUSIKTRONIK GLEICHZEITIG

■ „Inventionen '89“ im Bethanien

Musik ist nicht zeitlos. Sie klingt und ist vorbei. Bleibt sie mit sich allein, so war sie sprachlos oder waren die Zuhörer taub. Wenn nicht, wird ihre Spannung wahr und lebt.

Der Freitag abend im Künstlerhaus Bethanien hatte genau diese Spannung. Im fünften Konzert der „Inventionen '89“ wurden Werke von Dieter Schnebel, Pierre Boulez und Terry Riley aufgeführt. Im ersten kurzen Stück von Schnebel („61 Klänge für Klavier“, 1987) artikulieren quasi zwei gegensätzliche Affekte - wild und ruhig - nacheinander die gleiche Periode (30 Klänge) und enden mit einem Schlußakkord: Das Gleiche kann völlig verschieden klingen, wie Marianne Schröder am Klavier hören ließ.

Die folgenden Werke von Boulez und Riley brachten eine erstaunliche Verwirrung in Ablauf und Orientierung, Zeit und Raum: Sechs symmetrisch im kathedralenartigen Saal aufgestellte Klangwiedergabegeräte mischen sich ins Geschehen ein, das üblicherweise nur von vorn präsentiert wird.

Der Interpret des zweiten Stückes - J.C. Forestier spielte „Explosante fixe“ (1985) von Boulez - schien fast etwas teilnahmslos an dem wunderbaren Tonspektakel, das er auf seinem Vibraphon fabrizierte und das von Klangregissuer H.P. Haller emsig in ekeltronische Variationen übersetzt wurde. Die kleinen Tonpassagen, die Forestier mit ständig wechselnden Schlägen spielte, wirkten wie in den Raum gestellte Aphorismen. In den Zwischenräumen lagen nicht einfach Pausen, sondern passierte jeweils die Passage zeitlich versetzt noch einmal, elektronisch wiederholt, verzerrt, so daß die dabei entstehenden dichten Klänge richtig auf der Gürtellinie tanzten. Hervorragend ergänzten sich Klangfarbe (Vibraphon), Klangumformung (Elektronik) und Klangraum (Kathedrale), der zu einem Teil der Komposition wurde.

Die „Keyboard-Studies“ (1964) von Riley kombinierten Instrument und Elektronik völlig gleichzeitig. Schnelle, viertönige Sequenzen wurden unablässig auf dem Klavier wiederholt und umwirbelten ständig einen der vier Töne als Akzent, gestützt von einem Baßgrund. Vollends hypnotisch wurde das Ganze, als die Elektronik den aktuellen Klang mit dem jeweils gerade vergangenen überlagerte und verwischte. Die Musik wird selbst zum Raum - und die Ohren werden besoffen! Ist so ein Kunstwerk technisch reporduzierbar?

Das letzte (etwas anstrengende) Klavier-Elektronik-Werk Schnebels (1988) brachte „Raum“ und „Zeit“ nun ausdrücklich als Themen: Raum wurde durch größer oder kleiner werdende Intervalle, Zeit mittels Tondauer und Pausen erläutert. Schließlich trafen sich Raum und Zeit, müde und erleichtert, als das Stück endlich mehrtönig wurde.

Das Konzert verblüffte durch die sensible Konfrontation von Musik und Elektronik. Diese gibt hier Klänge nicht einfach wieder, sondern bringt selbst welche hervor, wodurch die Artikulationsmöglichkeit des Instruments erweitert wird. Das Hörerlebnis ist frappierend!

Christian Vandersee

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen