Swinging Metropolis

■ 16. Two To Tango

Vor allem anderen zwei Anmerkungen zur Folge 15. Weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß ihn jeder kennt, soll eine Einordnungshilfe nachgereicht werden: Mir tut's jedesmal weh, wenn beim berühmten RennplatzSketch („Wo laufen sie denn?“) stets nur vom Loriotschen Zeichentrick die Rede ist. Denn den Ton lieferte Wilhelm Bendow! Und ein Erratum: Gramgebeutelt schlag ich mir an die Brust und bekenne, einen dezenten Zahlendreh gezaubert, somit verwirrender Sinnentstellung das Tor zur (falschen) Zeit geöffnet zu haben. Der Clinch zwischen Berlins Musikalienhändlern und dem „billigen Massen-Wertheim“ fand nicht - Welch Unfug aber auch! - 1986, sondern 1896 statt. Nuja, neunzig Jahre... Ende der Durchsage.

Grizzly Bear, Turkey Trot, Donkey Trot, Peacockglide; so & anders heißen die phantasievollen One- & TwostepVarianten. Dies alles aber verliert an Bedeutung, als jene Granate detoniert, die Tango heißt, ein aufregendes Novum darstellt und wider Erwarten nicht von Gerhard Wendland erfunden wurde. Schon deshalb nicht, weil bereits Anfang der zehner Jahre Wilhelm Zwo seinen Gardisten nahelegt, sich dieses „unsoldatischen“ Geruckels zu enthalten. Im Neuen Tanzbrevier von 1913 schreibt F.W. Koebner: „Dieses einzige Wort hat es zuwege gebracht, daß ältere, ganz vernünftige Menschen plötzlich Tanzstunden nehmen, daß eine ganze Gesellschaftsklasse ihre Zeiteinteilung verändert hat.“ Parallel zum Tango landen Habanera & Milonga ebenfalls lateinamerikanischer Provinienz - in Europa, um die nordamerikanischen Rhythmen zu verdrängen. Dann krachen die echten Schrapnells, und der Totentanz dominiert.

Doch treten wir nicht in diese kakophonische Scheiße, sondern bleiben beim schwungvollen Thema, betrachten die musikalische Entwicklung bis ins letzte Friedensjahr. Trotz aller Verwandtheit zum Tango stammt die Habanera aus einer etwas anderen geographischen Ecke, aus Kuba (Habanna Havanna). Ursprünglich Salontanz der Weißen, reißt sich das Volk die Musik unter den schwarzen Nagel und zelebriert sie entsprechend. So kommt der Tanz in die weite Welt; nicht langsam & gemessen, wie's vordem Sitte war, sondern vital, „farbigen Plebejern“ gemäß. Der dieserart mosert, heißt Albert Friedenthal und veröffentlicht - ebenfalls im Berlin des Jahres 1913 - das Werk Musik, Tanz und Dichtung bei den Kreolen. Bei so enthemmter Interpretation sei „freilich nichts mehr von Grazie zu entdecken“, naserümpfelt er, „vielmehr lassen die Bewegungen der Tanzenden an unzweideutiger Obszönität nichts zu wünschen übrig.“ Ums „Obszöne“ werden wir hier auch nicht herumkommen; einen Moment noch Geduld, lieber Leser.

Im Gegensatz zu diesem Werdegang sind Milonga & Tango erst mal begleitende Trommelrhythmen zu Tanzfesten der Unterprivilegierten in Brasilien & Uruguay. Das Wort „Tango“ dürfte aufs arabisch-spanische „Tambor“ ( Trommel) zurückzuführen sein, benutzen's doch Südamerikas Schwarze als Lehnwort in tocar el tambor, was ebenso wie toca el Tango mit die Trommel schlagen zu übersetzen ist. In Montevideo 1808 verboten, alldieweil zu geräuschvoll und von der Arbeit ablenkend, beschreitet der Tango im Lauf der Jahrzehnte den umgekehrten Weg der Habanera. Versehen mit kritisch-spöttischen, oftmals drastischen Versen, entreißt man ihn in Buenos Aires um 1900 dem Straßenjargon, um ihn, schmachtend & schwül, wie wir ihn kennen, auf Erfolgstour zu schicken. Weg von der folkloristischen Struktur tritt als tiefgreifendste Veränderung an die Stelle des Dur ein elegisches Moll. La Paloma zum Beispiel war nicht immer so ein ganz & gar abstruser Schmarren. In einer der ersten überlieferten Fassungen heißt es nach allerlei Liebsgesäusel um Blümlein & Täubchen am Schluß: „Wenn der kleine Probst uns segnet / In der Kathedrale, ja, ja so geht's, / Dann werd ich dir das Händchen mit vieler Liebe geben / Und dem Pater zwei Ohrfeigen.“

Ähnliches verspürte vielleicht auch der argentinische Botschafter in Paris, als er im Jahr des Tangofiebers (s.o.) kundtut: „Bei meinen Gesellschaftsbällen verbiete ich den Tango auf das strengste, denn bei uns tanzen ihn nur Verbrecher.“ Da muß wohl doch noch ein Hauch Aufmüpfigkeit übriggeblieben sein, trotz der Berliner Schmalzfilmproduktion Die Tangoprinzessin. Das Verruchte & Atemlose haftet ihm an in Ewigkeit. Karl Kraus schafft Zusammenhänge: „Das Leben starb. Die Mörder tanzen Tango.“ Peter Altenberg, zeitlebens Anbeter & Diener des Weiblichen, aphorisiert in seinem typischen Exklamationsstil: „Der Tango ist eine ethische Angelegenheit: er ist der Ausgleich für alles, was der Mann der Frau schuldig geblieben ist! Ihre Verzweiflung heißt: Tango! Irgendwo muß sie sich 'anständig‘ austoben!“ Apropos & in puncto puncti: die Zwei- bis Eindeutigkeit der kontaktfreudigen Schrittfolge als Ficksynonym wird besonders im Englischen ohrenfällig. In den frühen Fünfzigern empfiehlt Rosemary Clooney: „Do The Dance Of Love“, so richtig lasziv hauchen später die zwei spanischen Disco-Blütlerinnen Baccara „Two To Tango“, und in einem dieser niedlichen Undergroundcomics von 1971 sorgt Zeichner Bill Griffith für tangomäßige Bereicherung tristen Ehedaseins.

Man sieht, dieser über- & durchgreifende Tanz hat sich durchgesetzt & gehalten, ist aktuell wie der Lebenstrieb, im Rahmen jener modischen Creation „EthnoSound“ sogar wieder in seiner Urform. Und der Moden waren viele. Welle für Welle schwappten weitere ibero-geprägte Heißmacher in unsere Säle & Stuben; 1930/31 der Rumba, und ab '45 manifestierte sich des ordentlichen Deutschen Fernweh per Samba, Raspa, Calypso, Mambo & Cha-cha-cha. Von Valente & Co intoniert, klingt's doch noch im Ohr, dieses trockene, kurze, befreiende „Uh!“

Norbert Tefelski