: Die Ministerin und die Kinderfrage
■ Zweijährige in die Kindergärten: Mit ihrem Vorstoß sorgte Familienministerin Ursula Lehr für Unmut in der Union / Doch vorerst geht es noch um die Dreijährigen / Bald Rechtsanspruch auf Kindergartenplatz?
Gerade 50 Tage im Amt, hat Familienministerin Ursula Lehr (CDU) bereits für unionsinternen Krach gesorgt. Ihr Vorschlag, Kindergärten und Tageszentren schon für Zweijährige zu öffnen und berufstätigen Müttern das schlechte Gewissen zu nehmen, brachte das Mutterbild von Teilen der Union ins Wanken. Das CSU-Parteiorgan 'Bayernkurier‘ wetterte lautstark gegen die „Frühablieferung von Zweijährigen“. Auch kirchliche Organisationen und Verbände gingen gegen „Lehrs neue Krippenpolitik“ auf die Barrikaden.
Doch die Seiteneinsteigerin, die nicht von vornherein auf Rückendeckung aus der Fraktion setzen kann, wendet sich weiterhin selbstbewußt gegen eine „Glorifizierung der Mutterrolle“. „Kuschen werde ich ganz bestimmt nicht“, erklärte sie. Je mehr sie angefochten werde, desto aggressiver werde sie. Ihre Linie in der Frauenpolitik gebe sie nicht auf. Viele berufstätige Frauen fielen ihr „geradezu um den Hals“ für ihren Vorstoß.
Die Zahl der erwerbstätigen Frauen ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen, bis auf rund zehn Millionen im Jahre 1987. Etwa die Hälfte dieser Frauen ist zwischen 30 und 50 Jahre alt, die meisten haben Familie und Kinder. Nach einer Untersuchung des Familienministeriums sind 70 Prozent der Mütter mit kleinen Kindern dafür, wegen der Kinder ihre Berufstätigkeit höchstens für zwei Jahre zu unterbrechen.
Immer mehr Frauen wollen gleich nach dem Mutterschaftsurlaub in den Beruf zurückkehren. Waren es 1980 noch 33 Prozent, so kletterte der Anteil bereits 1984 auf 44 Prozent - und damit steigt die Notwendigkeit entsprechender Betreuungsmöglichkeiten.
Doch obwohl in den vergangenen Jahrzehnten kräftig ausgebaut wurde, liegt vieles im Argen. Noch nicht einmal für die Dreijährigen gibt es genügend Betreuungsmöglichkeiten. Lediglich 190.000 von 573.000 Dreijährigen besuchen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes den Kindergarten. Die Versorgungsquote mit Kindergartenplätzen für Drei- bis Sechsjährige liegt bundesweit bei rund 80 Prozent. Dabei schwankt sie regional stark zwischen 105,4 Prozent im Süden und 56,3 Prozent im Norden. Plätze in Ganztageseinrichtungen gibt es gar nur für zwölf Prozent dieser Kinder.
Falls Frau Lehr sich bei der anstehenden Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes durchsetzen kann, so wird dem möglicherweise abgeholfen. Das neue Recht räumt nämlich allen Dreijährigen einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ein.
Der Erwartungsdruck ist groß, nachdem Familienministerin Lehr angekündigt hat, das neue Gesetz solle noch vor der Sommerpause ins Parlament. Schon viermal ist die Reform des aus dem Jahre 1922 stammenden Gesetzes gescheitert.
Auch diesmal sind die Fingerhakeleien noch nicht beendet. Offensichtlich sträuben sich unter anderem Länder und Kommunen. Mindestens 300 Millionen Mark soll sie dieser Rechtsanspruch im Jahr zusätzlich kosten, schätzt das Familienministerium.
Erst letzte Woche hat der Deutsche Landkreistag wieder Bedenken angemeldet. Nach Ansicht von Parlamentariern muß die neue Ministerin noch zeigen, ob es nur bei Ankündigungen bleibt.
Thea Emmerling (dpa)
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