piwik no script img

„Hinwendung zur etablierten Staatspartei“

Erklärung von Rainer Trampert: „Weshalb ich nicht für den Bundesvorstand der Grünen kandidiere“ / Wunsch nach größerer Unabhängigkeit von den Grünen  ■ D O K U M E N T A T I O N

Ich habe eine Zeitlang hin und her überlegt, ob ich für den Bundesvorstand der Grünen kandidieren sollte und bin zu dem Ergebnis gekommen, nicht zu kandidieren. (...)

Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß eine solche Kandidatur eine gewisse persönliche Identifizierung verlangt, sonst fehlt das Engagement dafür. So etwas geht jedenfalls nicht als linke Pflichterfüllung. Ich kann zur Zeit nicht dazu stehen, für diese grüne Partei eine repräsentative Funktion zu übernehmen oder für sie zu kandidieren. Das liegt zum einen an der Entwicklung der Grünen und zum anderen daran, mit welchen Schwerpunkten ich mich in nächster Zeit beschäftigen möchte.

Es ist unübersehbar, daß in den Grünen eine politische Tendenz dominiert, für die ich nicht sprechen könnte. Der Zug der Zeit ist die Hinwendung zu einer etablierten Staatspartei, die - unabhängig von Programmen - in der politischen Praxis mehr honoriert, daß die ökonomischen Machtverhältnisse nicht mehr angegriffen werden, daß emanzipatorisches Aufbegehren dem ideellen Gesamtwähler geopfert wird, daß die staatspolitischen Vorschriften respektiert werden - einschließlich des Auftrags, ordentliche Regierungsverhältnisse mit eigener Beteiligung herzustellen - und die an allen Ecken ihre eigene alternative Kultur zerstört. Immer mehr hat sich durchgesetzt, reine Wahlpartei zu sein, die ihren Erfolg oder Mißerfolg an Wahlergebnissen mißt und weniger daran, ob sich etwas verändert. Der offensichtliche Konflikt, als Wahlpartei Wählern gefallen zu müssen und gleichzeitig als politisches Subjekt auf politische Inhalte zu bestehen, ist mir zu sehr in die Richtung gerutscht, in der Praxis Inhalte wie heiße Kartoffeln fallen zu lassen. Die Notwendigkeit, die Verhältnisse, in denen wir leben, radikal verändern zu müssen und dafür zu werben, kommt überwiegend nur noch in Programmen vor, die verstauben.

Wenn ich heute in den Grünen die linke Auffassung vertrete, die Herrschaftsverhältnisse in dieser weltweit operierenden Großmacht brauchen Opposition, die sich auch in Parlamenten ausdrücken sollte, und, daß meine historische Betrachtung mit sagt, nur so sei die Kraft für Veränderung möglich und nicht durch die eigene regierende Mitverwaltung der Herrschaftsverhältnisse, dann habe ich heute neuneinhalb Landesverbände gegen mich. Mein Eindruck ist, daß auch der Teil innerhalb der Linken schrumpft, der für eine sanfte Tolerierung bis zur „Nulltolerierung“ ist. Zur Zeit gibt es in den Grünen keine gleichberechtigte Möglichkeit, für Gegenpositionen zu werben. Der Zustand ist so, daß RealpolitikerInnen eines sicher ist: Sie werden nicht zur Verantwortung gezogen, sondern statt dessen auf den nächsten Wahllisten die Spitzenplätze belegen. Im Gegensatz dazu ist ein linker Bundesvorstand, der sich überwiegend an Programmbeschlüsse hält, zum Sturz freigegeben, sofern er sich den Abweichungen widersetzt. (...)

Darüber hinaus betrachte ich mit Sorge, daß ein Teil der „Undogmatischen“ - nicht alle! - dieser Entwicklung nichts entgegensetzt, die Entwicklung der Grünen eher beschönigt oder vorzugsweise Bündnisse mit den Gruppen sucht, die die Rechtsentwicklung der Grünen tragen (...)

Die momentane Kräftekonstellation in den Grünen wird meines Erachtens keine linke Politik über den Bundesvorstand zulassen, die ein erkennbares Gegengewicht zur dominanten Realpolitik sein könnte. Sie wird allenfalls eine linke Minderheit ertragen. (...)

Bei der Abwägung habe ich danach entschieden, womit ich mich persönlich am meisten identifizieren kann und welche Schwerpunkte ich mir setze. Dabei spielt eine Rolle, daß ich die Frage, ob und wie Linke in den Grünen Politik machen sollten, ernst meine. Ich möchte deshalb in nächster Zeit frei sein von unausweichlichen Gremienzwängen. (...)

Ich will in nächster Zeit ungebundener untersuchen, was es mit der spezifischen Entwicklung der Grünen auf sich hat. Woher kommt das Auseinanderklaffen von breiter Betroffenheit und drastischem Rückgang der gesellschaftlichen Reformkraft? Welche Chancen haben linke und alternative Wahlparteien, sich dem Anpassungsdruck an die herrschenden Verhältnisse zu entziehen, oder ist das nicht denkbar? Welchen Schub erfährt die weltweite Anerkennung des Kapitalismus durch das Versagen der großen sozialistischen Revolutionen? Wo landet linke Politik in einer Wahlpartei, die von uns mitgegründet wurde, weil „die außerparlamentarische Bewegung das Standbein“ sei und der Parlamentsbetrieb das „Spielbein“ nach der Verwandlung dieser Formel? (...) Welche Rolle spielen die Grünen bei dem weltweit hochgeschätzten Standortvorteil der BRD: Stabilste ökonomische und politische Verhältnisse in Europa dank optimaler Konfliktbeseitigung? Wo sind noch Kräfte, die verändern wollen und die bereit sind zu der dafür nötigen Opposition, in Zeiten, in denen CDU und FDP mit der Restauration des Staates beschäftigt sind, die SPD modern mitzieht, und die Grünen ihre eigenen Reformforderungen immer dann diffamieren, wenn sie einem Regierungsbündnis im Wege sind? Welche Fehler haben wir gemacht? Diese Frage will ich nicht unter einem Zwang untersuchen, mit taktischen Schuldzuweisungen Boden zu gewinnen. (...)

Ich möchte mit anderen zusammen die Möglichkeit linker Initiative prüfen, die sich nicht allein an den Grünen ausrichtet, sowohl mit den Linken, die ihren Schwerpunkt in den Grünen sehen, als auch mit Linken, die die Grünen verlassen haben oder nie darin waren, weil sie so bessere Möglichkeiten für sich sahen. In diesem Zusammenhang unterstütze ich die Bildung linker Zusammenhänge in den Grünen, die ihre Politik nach mehreren Seiten ausrichten und vielleicht mit eigenen Informationsmitteln Zusammenhänge aufbauen.

Ich weiß, daß wir außerhalb der Grünen keine einfachen Verhältnisse vorfinden und schon gar keine Organisation, die ich als Angebot schätzen könnte. Das darf aber nicht zu einer Beschönigung unserer Situation in den Grünen beitragen. Mein Wunsch ist eine größere Unabhängigkeit von den Grünen für linke Politik, egal, ob ihre Initiative in die Grünen hineingeht, in Bürgerinitiativen, Gewerkschaften oder sonstwas, weil ich meine, daß es für die Gestaltung linker Politik in den Grünen und über sie einmal bessere Zeiten gegeben hat, und daß diese Überlegung aktuell wird, wenn die Bedingungen dafür schlechter werden. - 4.2.1989

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen