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Der polnische Knoten ist geplatzt

■ Heute beginnen endlich die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition / Von Klaus Bachmann

Die Verhandlungen am berühmten „runden Tisch“ hatten eigentlich bereits nach der großen Streikwelle im August letzten Jahres beginnen sollen, doch erst umfangreiche Umbesetzungen in der Parteispitze machten es möglich, sie ohne Vorbedingungen stattfinden zu lassen. Am 19. Januar schließlich verabschiedete das Zentralkomitee der PVAP eine Resolution, die den Weg freimachte zu einer erneuten Zulassung der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc. Nun erklärte sich auch die Opposition zu Verhandlungen bereit. In den polnischen Medien ist inzwischen sogar von einer tiefgreifenden Reform der Partei die Rede, in der PVAP spricht man von einem Verzicht auf das Machtmonopol und der möglichen Zulassung einer sozialistischen Partei. Selbst die Opposition scheint nicht mehr Gegner, sondern Partner geworden zu sein.

„Vielversprechende Anfänge“ meldete 'Trybuna Ludu‘, das Parteiorgan der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP), vor wenigen Tagen mit einem großen Artikel auf der zweiten Seite: In der Kohlegrube Moszczenica in Jastrzebie war es zu einer kurzzeitigen Zusammenarbeit zwischen der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc und der Betriebsgruppe der offiziellen Gewerkschaften OPZZ gekommen. Im Herbst letzten Jahres war im selben Gebiet gestreikt worden - für 'Trybuna Ludu‘ galten damals die streikenden Solidarnosc -Anhänger noch als Terroristen und asoziale Elemente. Doch im Gegensatz zu Kommentaren noch vor wenigen Wochen war in dem Artikel über Moszczenica von Polemik nichts mehr zu spüren - im Gegenteil. Noch Ende 88 hatte die 'Trybuna Ludu‘ all ihren Spott und ihre Häme über die ungeliebte Gewerkschaft Solidarnosc ausgegossen, hatte sie einzelnen Vertretern der Opposition ganze Artikelserien gewidmet, in denen sie sie durch den Kakao zog.

Nun ist endlich auch für das Parteiorgan die unabhängige Gewerkschaft zu einem geachteten Partner geworden - und nicht nur jene imaginäre „konstruktive Opposition“, mit deren Hilfe man gehofft hatte, die Gewerkschaft spalten zu können. Jetzt verläuft die Trennungslinie zum Gegner viel tiefer. Ein Dialog wird nun nur noch mit jenen abgelehnt, die den Verhandlungen am runden Tisch von Anfang an sehr reserviert oder gar offen ablehnend gegenüberstanden: den erklärten Antikommunisten um die „Konföderation Unabhängiges Polen“ oder der radikalen Solidarnosc-Abspaltung „Kämpfende Solidarnosc“ etwa. Nach den personellen Veränderungen in Politbüro und Zentralkomitee und der ZK-Resolution über Gewerkschaftspluralismus ist nun auch die 'Trybuna Ludu‘ auf den liberalen Kurs umgeschwenkt, den sie zuvor bekämpft hatte.

Solche Sprachrohre scheint die Partei nun auch dringend zu benötigen. Die Wende auf dem 10. ZK-Plenum im Januar ist für die Partei nämlich alles andere als schmerzlos gewesen. Aus verschiedenen Landesteilen kommen Berichte über vermehrte Parteiaustritte, bereits während des Plenums hatte sich eine starke Fraktion gegen die vom Politbüro vorgelegte Resolution für Gewerkschaftspluralismus gebildet. ZK -Mitglieder sprechen von 20 Prozent, und es ist anzunehmen, daß die Widerstände im Apparat auf dem Land noch viel größer sind.

Wie sollen die einfachen Parteifunktionäre und Parteizellen in den Betrieben diese Wendung auch verkraften? Noch vor wenigen Wochen konnten sie einem Parteirundschreiben entnehmen, alle Versuche, in Betrieben Solidarnosc-Zellen zu gründen, seien dem ZK und den Staatsanwaltschaften zu melden; nun sollen sie plötzlich mit den „Kriminellen“ von gestern zusammenarbeiten?

Um die Desorientierung zu mildern, reiste die komplette Parteiführung, Parteichef Jaruzelski eingeschlossen, unmittelbar nach dem ZK-Plenum aufs Land, um die erregten Gemüter zu beruhigen. „Der Standpunkt des ZKs wird nicht überall verstanden“, gab selbst die 'Trybuna Ludu‘ zu, und der neue ZK-Sekretär Leszek Miller gab gleich die Parole von der „Verständigung innerhalb der Partei“ aus, um die Wogen zu glätten. Doch die Partei wird auch in nächster Zeit nicht vor Erschütterungen bewahrt werden.

Bereits jetzt beginnt die Anpassung der Ideologie an die künftige Realität. Der Marxismus, so erklärte Ideologiesekretär Orzechowski, schließe alternative Denkmuster nicht aus. „Auch die Linke braucht Pluralismus“, fordert ein Gesellschaftswissenschaftler in 'Trybuna Ludu‘ und impliziert damit die Möglichkeit, neben der PVAP etwa noch eine sozialdemokratische Partei (PPS) zuzulassen. „Vor dem Krieg lancierte die Sozialistische Partei den Slogan: 'Es gibt keinen Feind auf der Linken‘. Warum soll das heute nicht mehr aktuell sein?“

Daß es für die Partei wieder aktuell zu sein scheint, hat nicht zuletzt die Ideologiekonferenz bewiesen. Dort bekundete Orzechowski gar die Absicht, den Begriff des Klassenkampfes und die „Diktatur des Proletariats“ über Bord zu werfen. Diese Begriffe hätten bisher den totalen Charakter des Staates, der sich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens untertan machen wollte, ausgedrückt und begründet. Künftig, so forderte der Chef der Ideologieabteilung des ZK, Andrzej Czyz, müsse die Partei innerhalb eines pluralistischen politischen Systems wirken und dürfe nicht mehr wie bisher darüber stehen.

Plötzlich nun will man gar aus den Traditionen des Parlamentarismus und der Gewaltenteilung und „den Erfahrungen der westeuropäischen Sozialdemokratie“ schöpfen. Nun ist statt des Monopols einer Partei nur noch von einer möglichen „sozialistischen Dominanz“ die Rede. Die soll darüber hinaus erreicht werden durch eine Parteireform. Abspecken ist angesagt - und das ZK nimmt sich davon nicht aus. Mittelfristig soll der Einfluß der zentralen Instanz durch Personaleinsparungen um 45 Prozent verringert werden. Einige ZK-Abteilungen werden komplett aufgelöst.

Was sich in der Presse dabei unter dem Stichwort: „Überdenken des demokratischen Zentralismus“ ankündigt, ist auch ein bewußter Rückzug der Partei aus einigen Politikbereichen, vor allem der Wirtschaft. Den Gegnern der Reform in den eigenen Reihen hält die 'Trybuna Ludu‘ selbstkritisch vor: „Die Notwendigkeit einer Parteireform zu ignorieren bedeutet nicht nur, die Marginalisierung der Partei im Leben des Landes weiter zu vertiefen, sondern auch eine Stärkung des politischen Gegners.“

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