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Volksentscheide-betr.: "Renger gegen Volksentscheide", taz vom 24.1.89

betr.: „Renger gegen Volksentscheide“, taz vom 24.1.89

Es wird höchste Zeit, daß Volksentscheide eingeführt werden. Bisher hat sich der Begrif „außerparlamentarisch“, bewußt oder unbewußt, mit einer bestimmten Wertung verbunden. Manche MitbürgerInnen mögen in den außerparlamentarischen Kräften oder in bestimmten außerparlamentarischen Aktionen ein Allheilmittel sehen - andere, leider noch die Mehrzahl, sehen in allem Außerparlamentarischen etwas Außerordentliches, das allenfalls - wenn überhaupt - für ganz außerordentliche Situationen akzeptabel sein könnte. Vom Außerordentlichen ist es dann nur noch ein Schritt zum Unordentlichen, Ungeordneten, Irregulären, möglicherweise Revolutionären. Damit stellt sich das Gruseln ein vor etwaigen außerparlamentarischen Aktionen oder auch nur Anstrengungen, und der gefühlsmäßig bestimmte Widerstand gegen die Träger des Außerparlamentarischen bildet und versteift sich.

Dabei ist das Außerparlamentarische durchaus nicht das Außerordentliche und zunächst auch durchaus nicht das, was als äußerste Möglichkeit in Ausnahmesituationen angebracht sein kann. Vielmehr handelt es sich um etwas durchaus Normales, ja Notwendiges, wenn wir in einer Demokratie leben wollen. Demokratie bedarf der Demokraten, die sie tragen und lebendig erhalten. Eine praktizierte Demokratie ist ohne Einwände nicht denkbar. Nichts ist endgültig, alles im Fluß. Jeder Zustand ist fragwürdig, alles kann besser (oder schlechter) werden. Der stete Wandel ist es, der die Demokratie am Leben erhält, das feine Gespinst der Kontrollen und wechselseitigen Korrekturen, der offene Argwohn, die Bereitschaft zum Engagement, das Verständnis für die Meinung des anderen, der Mut zum Widerspruch.

Dazu genügen noch nicht, so wichtig sie in ihrer Funktion sind oder doch sein könnten, die demokratisch Gewählten des Bundestages und auch nicht die paar tausend Abgeordneten der Länder- und Gemeindeparlamente. Dazu genügt aber auch nicht die gewissenhafte Erfüllung des Wahlrechts: Unsere Demokratie könnte sich nie entfalten, sie müßte sehr schnell völlig verkümmern, wenn wir keine anderen demokratischen Rechte wahrzunehmen hätten als die Abgabe von Stimmzetteln bei Wahlen - selbst wenn diese Wahlen uns, was ja leider nicht mehr der Fall ist, die Gelegenheit zur wirklichen Wahl, zu wirklichen Entscheidungen zwischen deutlich Unterscheidbarem gäben.

An dieser Stelle wird man nun wahrscheinlich an den Zustand unserer im Parlament vertretenen Parteien denken. In der Tat ist dieser Zustand für jeden Demokraten höchst unbefriedigend; aber auch wenn das anders wäre, könnten wir uns nicht allein und ausschließlich auf das Funktionieren der Parteien verlassen. Ein weitverbreiteter Irrtum geht von der Ansicht aus, nach unserem Grundgesetz seien die Parteien die einzigen und ausschließlichen Träger der politischen Meinungs- und Willensbildung. Daran haben jedoch, aus guten Gründen, die oft zitierten Väter des Grundgesetzes gar nicht gedacht. Vielmehr haben sie in dem oft erwähnten, aber selten richtig zitierten Artikel unseres Grundgesetzes nicht mehr und nicht weniger festgelegt als dies: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit - das wird ihnen gewiß niemand bestreiten; im Gegenteil: Man wünschte dringend, sie täten es mehr, aktiver, entschiedener und ideenreicher. Deutlich aber wird aus diesem Artikel 21 des Grundgesetzes, daß die Parteien kein Monopolfür die politische Willensbildung unseres Volkes besitzen. Auch andere Kräfte sind dazu aufgerufen, ja verpflichtet, zumal man immer mehr feststellen muß, daß unsere Volksvertreter kaum noch die Interessen des Volkes vertreten.

Karl Kirchner, Würzburg

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