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„Kapitalflucht? Unter der CDU!“

■ Die jetzt beschworene Wirtschaftskrise durch eine rot-grüne Koalition ist den Gewerkschaften nicht bekannt / Keine Gerüchte über Investitionsstopps

„Kapitalflucht haben wir doch gerade unter der CDU/FDP -Koalition gehabt. Die Entlassungen bei SEL sind das beste Beispiel dafür“, zürnt Günter Gäde, der Vorsitzende der Gewerkschaft Holz und Kunststoff. „Schlechter als jetzt kann es nicht mehr werden, mit einem rot-grünen Bündnis kann es nur aufwärts gehen.“ Unter seinen Betriebsräten, so Gäde, sei die „versuchte Angstmache“ überhaupt kein Thema.

Zum großen Flop ist die Behauptung einiger CDU- und FDP -Politiker geraten, wegen einer möglichen rot-grünen Koalition gebe es eine nachlassende Investitionsbereitschaft der Berliner Wirtschaft, sinkendes Wirtschaftswachstum und den Verlust von Arbeitsplätzen. Nicht nur die großen Kapitalverbände, sondern auch die Gewerkschaften mit ihren Kontakten in die Betriebe haben bisher keine Anzeichen dafür ausmachen können. Stattdessen bilanziert DGB-Chef Michael Pagels gerade für die letzten Jahre die „nicht eingehaltenen Investitionsversprechungen“ der Unternehmer, „eine weitere Erosion des Industriestandorts Berlin“ und die Zustimmung zur „unverantwortlichen“ Kürzung der Berlin-Förderung.

„Zweckbehauptungen“, sagt auch der Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuß und Gaststätten (NGG), Helterhof, zur angeblichen neuen Standort-Krise. „Das würden sie auch sagen, wenn es eine reine SPD-Regierung geben würde“, fügt IG-Chemie-Sprecher Metschurat hinzu. Noch von keinem einzigen Betriebsrat habe er erfahren, daß in einem Chemie -Werk etwa Investitionen zurückgehalten werden sollen, weil die Ökologie in die Senatspolitik einmarschieren könnte. IG -Textil-Sprecher Genger berichtet zwar, daß „die Grünen als unzuverlässig“ gelten würden, aber über die angeblich angedrohte Folgen einer Regierungsbeteiligung der AL sei auch ihm nichts bekannt. Und für Detlev Prinz, den Sprecher der IG Metall, sind Negativ-Entscheidungen von Unternehmern ohnehin nicht einem neuen, sondern dem alten Senat anzulasten. Zur Begründung etwa ein rot-grüne Bündnis anzuführen, sei „allenfalls vorgeschoben“.

Befürchtungen in

der Bauwirtschaft

Nur auf dem Bau sind die Befürchtungen etwas weiter gediehen. Vor allem im Tief- und Verkehrswegebau spekulieren die Beschäftigten über die Zukunft mancher Projekte allerdings auch nicht wegen politisch motivierter Kapitalflucht, sondern wegen der senatorischen Großaufträge. „In der Tendenz befürchten viele, daß sich das nicht günstig auswirken wird“, formuliert Jürgen Schötz, der Betriebsratsvorsitzende des Baukonzerns Wayss und Freytag. „Aber das sind Dinge, die sich in der Bauchgegend abspielen.“

diba

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