: „Der Insulaner verliert die Ruhe nicht“
■ Dokumentation beleuchtet die Berlin-Krise 1948/49
Seit einigen Monaten wird das Ost-West-Verhältnis von Glasnost, Perestroika, vielfältigen Abkommen und Versprechungen bestimmt. Deutsche Theaterensembles gastieren in Moskau, sowjetische Rockbands in der Bundesrepublik. Doch das war nicht immer so. Denkt man 40 Jahre zurück, so erscheint einem diese hoffnungsvolle Annäherung geradezu revolutionär. Denn auf Messers Schneide stand damals der Weltfriede. 1948 war Europa krisengebeutelt: die Moskau-treuen Kommunisten schlugen den Prager Reformfrühling nieder, Stalin unternahm Schritte gegen Jugoslawiens Tito usw. Die Angst vor „dem Russen“ wurde im kalten Krieg durch die antikommunistische Propaganda der westlichen Medien ebenso geschürt wie durch diejenigen Berichte, die die Kriegsheimkehrer aus der Gefangenschaft mitbrachten. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war die Berliner Blokkade. Als die Sowjets aufgrund der einseitig durchgeführten Währungsreform als Gegenmaßnahme sämtliche Zufahrtswege nach Berlin abriegelten und die Stadt somit isolierten, schrieb der britische Generalstabschef Lord Ismay an General Eisenhower: „Wir stehen am Abgrund...“ In Washington wurden Pläne zur Evakuierung Berlins ausgearbeitet und - für den Fall eines sowjetischen Angriffs - ein Atomschlag gegen russische Großstädte vorbereitet.
Im Auftrag von NDR und SFB hat Hans Brecht einen Film über die Berlin-Krise 1948/49 gedreht, der die Ereignisse von damals den heutigen Einschätzungen der Betroffenen und Beteiligten gegenüberstellt. Er drehte in Berlin, der Bundesrepublik, Großbritannien und den USA (leider nicht in der Sowjetunion), ließ Politiker und Propagandisten ihre damaligen Positionen überdenken und befragte Piloten, die 40 Jahre nach ihren „Rosinenbomber„-Einsätzen wieder in die Stadt kamen, nach ihren Eindrücken. Dieses Material durchsetzte er mit historischen Wochenschauberichten, Fotos und bisher unveröffentlichten Dokumentaraufnahmen. Der Autor versucht einige der Ursachen des kalten Krieges herauszufinden und erinnert daran, daß Berlin sich auch heute noch nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß es eine Stadt zwischen den Blöcken ist. Unter anderem zeigt er Teile der berühmten „Schaut auf diese Stadt„-Rede des Bürgermeisters Ernst Reuter, die damals nicht vollständig in deutschen Kinos gezeigt worden war. So nennt der von den Nazis 1933 ins KZ gesperrte SPD-Politiker das blockierte Berlin „Stalingrad der Freiheit“ und beschwört den Tag des „Sieges über die Macht der Finsternis“, an dem „wir wieder in die Ostzone zurückkommen werden“ und die Züge wieder bis Breslau und Stettin rollen. Diese Untertöne so kurz nach dem Ende der Nazi-Zeit rechtfertigt der Politiker Egon Bahr: In schwerer Zeit sei eine starke Sprache nötig gewesen.
Petra Kohse
Auf Messers Schneide. Die Berlin-Krise 1948/49. Ein Film von Hans Brecht und Hans-Joachim Theuerkauf (Kamera), ARD, 20.15 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen