piwik no script img

König Hassan verhandelt nicht mit Arbeitern

Im Nordosten Marokkos streiken seit dem 19.Dezember rund 7.000 Bergarbeiter / Sie kämpfen für gewerkschaftliche Rechte, für mehr Sicherheit in den Minen, für höhere Löhne und für ihre Würde / Jetzt befaßt sich erstmals eine Parlamentskommission mit der sozialen Lage in Jerada  ■  Aus Jerada Knut Pedersen

Im Schatten einer riesigen Koksschutthalde stehen kleine Betonbuden, deren abgewaschene Pastellfarben maßlos traurig wirken. Hier wohnen die „Unverheirateten“. Dazu zählt sich seit Juli 1987 auch Mokhtar Isdar, trotz Frau und Kind, die er am anderen Ende Marokkos zurückgelassen hat, in seinem Heimatdorf nahe Agadir, der Touristenstadt an der Atlantikküste. „Ich hätte nie herkommen sollen, ich habe es bitter bereut“, sagt er unvermittelt. „Zu viele Unfälle und zu viele Kumpel, die ihre Staublunge aushusten...“

In einem Winkel des kleinen, zementierten Raums brennt ein offenes Feuer zwischen glühenden Backsteinen, auf denen ein scheppernder Kochtopf brodelt. Drei Unverheiratete leben hier auf zwölf Quadratmetern zusammengepfercht, ohne Küche, Dusche oder WC. „Es gibt öffentliche Toiletten, die nächsten sind 300 Meter entfernt“, erklärt Mokhtar und deutet ein wenig verschämt auf einen ausgetretenen Pfad. Wovon lebt er, mehr als anderthalb Monate nach dem Beginn des Streiks? „Ich hatte ein bißchen zur Seite gelegt, für alle Fälle. Aber damit ist es lange schon zu Ende. Gott sei Dank schreibt der Krämer an - aus Solidarität.“

Grubenleitung streicht

die Heizkostenzulage

In Jerada, im Nordosten Marokkos, ist es kalt in dieser Jahreszeit. Gleichwohl ist die Minenstadt, die rund 60 Kilometer südlich von Oujda im Gebirge liegt, voller Menschen, die nichts auf die Straße zwingt. In kleinen, schweigsamen Gruppen stehen die Männer beieinander und schlagen die Zeitungsseiten um, auf der Suche nach einem Hoffnungsschimmer. „Am 9.Februar wird sich eine Parlamentskommission mit der sozialen Lage in Jerada befassen“, haben sie in 'Al-Ittihad Al-Ishtiraki‘, dem Parteiorgan der „Sozialistischen Union des Volkes“ (USFP), gelesen.

Das kommt kaum zu früh. Die USFP und die ihr nahestehende Gewerkschaft CDT (Confederation democratique du Travail) haben schon vor drei Wochen eine Debatte im Parlament gefordert. Und in Jerada ist es in den Häusern noch kälter als draußen, seitdem die Direktion der Mine die monatliche Heizzugabe gestrichen hat, um die Streikenden zur Wiederaufnahme der Arbeit zu zwingen. Tagsüber bleibt man draußen vor der Tür, aber nachts, wenn die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen...

Weltbank fordert Senkung der Produktionskosten

Dank sowjetischer Hilfe wurde in den siebziger Jahren vier Kilometer vor den Toren Jeradas ein riesiges Kraftwerk errichtet, das heute für rund ein Fünftel des nationalen Energiebedarfs aufkommt. Trotz des seit dem 19.Dezember andauernden Streiks rauchen hier noch immer die Schlote. „Weil sie heimlich polnische Kohle eingeführt haben“, glauben die Bergarbeiter von Jerada. Normalerweise sorgen sie für die rund 750.000 Tonnen Kohle, die das Kraftwerk jährlich verheizt. Nach Angaben des Generalsekretärs der CDT Noubir Amaoui hat die Weltbank vor kurzem einen Kredit in Höhe von 27 Millionen Dollar zur Modernisierung der Mine bewilligt, aber die „Senkung der Produktionskosten“ zur Bedingung erklärt. „Die Direktion wird versuchen, noch mehr an uns und unserer Sicherheit einzusparen. Aber damit ist jetzt Schluß!“ regt sich einer der drei gewählten Personalvertreter, Amer Elhoucine, auf. Weil er Anfang Dezember an einem Warnstreik teilgenommen hat, ist er für ein Vierteljahr „suspendiert“. Wer den Bergarbeitern in Jerada zuhört, wird sich kaum vorstellen können, wie noch zu sparen wäre. Der unqualifizierte „Abschläger“ arbeitet auf reiner Akkordlohnbasis und fährt für monatlich rund 250 Mark ein: Arbeitskleidung, Handschuhe, Helm, Stiefel und selbst die Grubenhacke gehen auf seine Kosten. Mangels Aufzügen im Personalschacht klammern sich je 16 Kumpel im Förderwagen fest und fahren über tausend Meter in die unterirdischen Streben ein. 1982 ist das Kabel gerissen: acht Tote. „Die Sicherheitsvorkehrungen sind lächerlich. Arbeiter werden verschüttet, greifen in offene Stromleitungen oder ersticken, weil die Lüftungsschächte verstopft sind“, klagt Amer Elhoucine, der auch Personalvertreter für Sicherheit ist. „Im vergangenen Juli sind zwei Männer sogar in der Mine ertrunken, weil das Grundwasser nicht vollständig abgeführt wird.“

Amer Elhoucine, der seit sieben Jahren in der Mine arbeitet, schätzt die jährliche Todesrate auf „ungefähr zehn“. Nach Angaben der CDT-Gewerkschaft ist es allein im vergangenen Oktober zu 240 Arbeitsunfällen in der Mine gekommen, davon rund die Hälfte mit Verletzten, die ins Krankenhaus nach Oujda abtransportiert werden mußten. 64 von ihnen haben die Arbeit nicht mehr im gleichen Monat wieder aufnehmen können, und insgesamt 622 Mitglieder der Belegschaft - knapp 7.000 Arbeiter und Ingenieure - waren krankgemeldet. „Manche sind krank und raffen sich wieder auf, andere resignieren und fahren nach Hause, ohne zu kündigen oder auch nur ein Wort zu sagen“, erklärt Zaam Hamida. „Wer mit seiner Staublunge nicht mehr einfahren kann, kehrt ins Heimatdorf zurück. Die Entschädigung, die von der Mine bezahlt wird, ist lächerlich.“

Eine bessere Krankenversicherung, „menschlichere“ Betriebsärzte, die „auch mal in die Mine kommen und sich unsere Arbeitsplätze ansehen“, ein Liter Milch pro Tag, das sind Forderungen des seit über 40 Tagen dauernden Streiks, der bereits mehr als eine Million Tonnen Kohle an Produktionsausfall gekostet hat. „Natürlich haben wir auch Lohnforderungen, aber im wesentlichen geht es darum, die gewerkschaftlichen Vertretungsrechte durchzusetzen“, erklärt Hocine Kafouni, einer der politischen Köpfe der CDT -Gewerkschaft. „Aber in Jerada wie anderswo in Marokko wird der Dialog mit den Arbeitern prinzipiell verweigert.“

Straßensperre und Personenkontrollen

In Jerada geht der marokkanische Staat, dem die Mine gehört, mit schlechtem Beispiel voran. Seit dem Beginn des Konflikts hat die Direktion der „Charbonnages du Maroc“ jedweden Kommentar verweigert. Für Journalisten ist, trotz wiederholter Anfrage, niemand „verfügbar“. Dagegen finden Polizei und innerer Sicherheitsdienst die nötige Zeit für Straßensperren, ausgedehnte Identitätskontrollen und gründliche Recherchen, sobald ein Vertreter der schreibenden Zunft nach Jerada kommt...

„Was sich heute in Jerada abspielt, ist beispielhaft“, glaubt der Generalsekretär der CDT Noubir Amaoui. Seine Gewerkschaft klagt die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechte ein, die in der marokkanischen Verfassung festgeschrieben sind. Aber vorläufig ist die Justiz eher repressiv: Nachdem drei Gewerkschafter auf der Grundlage eines Gesetzestextes aus der Kolonialzeit für die „Verbreitung subversiver Flugblätter“ verurteilt wurden, wurden vor einer Woche zehn streikende Arbeit mit zwei bis drei Monaten Gefängnis sanktioniert: wegen „Einschränkung der Arbeitsfreiheit“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen