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„Große Koalition“ für den Renten-Kompromiß

Unionsparteien, FDP und SPD haben sich weitgehend auf Kompromiß in der künftigen Rentenregelung geeinigt / Grüne befürchten nach wie vor fehlende Sicherung vor Altersarmut / Arbeitslosigkeit und Krankheit leistungsmindernd / Beamtenpensionen noch unangetastet  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Verhaltene bis offene Zustimmung in seiner Partei registrierte der Chef der SPD-Verhandlungskommission, Rudolf Dreßler, zu dem Ende vergangener Woche erreichten Renten-Kompromiß mit der Bonner Regierungskoalition. Zwar mochte er seine Hand noch nicht dafür ins Feuer legen, daß der Kompromiß schließlich die Billigung der Fraktion finden wird. Doch weil auch die Unionsparteien und Freie Demokraten dem unter Federführung von Bundesarbeitsminister Blüm zustande gekommenen Lösungsvorschlag zustimmen müssen, zweifelt eigentlich niemand daran, daß am Ende die „große Koalition“ der Bonner Altparteien beim „Jahrhundertwerk“ der Sanierung der Rentenversicherung zusammenkommen wird.

Das Kompromißpaket

Nur die Grünen sind nicht einbezogen und formulieren heftige Kritik: Es werde - sollte es bei dem erzielten Kompromiß bleiben - auch in Zukunft keine Sicherung gegen Altersarmut geben. Insbesondere drohe für viele Frauen weiterhin die „Armut im Alter“. Letztlich laufe der „Deal“ auf Einsparungen in Höhe von zehn Milliarden Mark auf Kosten der Rentner hinaus, und die Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre mache die positiven arbeitsmarktpolitischen Effekte der Wochenarbeitszeitverkürzung wieder zunichte.

Umstellung der Rentenanpassung auf Nettolöhne: Die Renten sollen in Zukunft nicht mehr wie bisher entsprechend dem Wachstum der Bruttolöhne, sondern wie die Nettolöhne wachsen.

Beitragserhöhung: Der Beitragssatz der Versicherten soll nicht, wie ursprünglich vorgesehen, kurzfristig um 0,2 Prozent sinken, sondern weiterhin 18,7 Prozent betragen. Bis zur Jahrtausendwende sollen die Beiträge auf rund 20 Prozent, bis zum Jahr 2010 auf 21 Prozent steigen.

Steigerung des Bundeszuschusses: Unter dem Motto „Gleichverteilung der Lasten“ sollen parallel zum Anstieg der Beiträge auch die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt zur Rentenversicherung wachsen. 1990 soll der Bundeszuschuß um 300 Millionen, 1991 um weitere zwei Milliarden Mark erhöht werden. 1992 sollen die bisherigen Aufwendungen des Bundes für Kindererziehungszeiten auf 4,8 Milliarden Mark pauschalisiert und dem Bundeszuschuß zugeschlagen werden. Nach Ansicht der SPD-Experten ist dadurch bis weit ins nächste Jahrtausend hinein ein Polster in bezug auf die Mehraufwendungen für die verlängerten Kindererziehungszeiten gegeben. Außerdem sollen die Bundeszuschüsse in Zukunft entsprechend dem Wachstum der Bruttolöhne steigen.

Verlängerung von Kindererziehungszeiten: Müttern und Vätern sollen in Zukunft unter bestimmten Voraussetzungen zwei weitere Kindererziehungsjahre angerechnet werden. Die Erweiterung soll für alle Geburten nach 1991 (ursprünglich 1985) gelten. Die Kindererziehungsjahre sollen mit 75 Prozent der Durchschnittsbeiträge bewertet werden, auch wenn Mutter oder Vater in Wirklichkeit während der Kindererziehungszeit weniger oder gar nichts verdienen.

Verlängerung der Rente nach Mindesteinkommen: Bisher wurden Versicherte mit mindestens 25 Versicherungsjahren und geringem Arbeitseinkommen bis 1972 so behandelt, als hätten sie 75 Prozent des Beitragsdurchschnitts bezahlt. Diese Regelung war vor allem auf Frauen mit niedrigen Einkünften und kurzer Erwerbsbiographie zugeschnitten. Diese Regelung soll nun bis 1991 verlängert, allerdings an den Nachweis von 35 Versicherungsjahren einschließlich Kindererziehungszeiten gebunden werden. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist also eingeschränkt, gerade bei Frauen mit längeren Arbeitsunterbrechungen.

Gesamtleistungsbewertung: Bei der Feststellung der Rentenansprüche sollen die anrechenbaren Ausbildungszeiten, für die maximal 75 Prozent des Durchschnittsbeitrages berechnet werden, von bisher 13 auf sieben Jahre gekürzt werden - eine Verschlechterung für all jene mit langen Ausbildungszeiten. Dagegen sollen in Zukunft die ersten vier Berufsjahre aus der Gesamtbewertung der individuellen Erwerbsbiographie herausgenommen und generell mit 90 Prozent des Durchschnittsentgelts aller Versicherten bewertet werden. Vor allem für gering verdienende Arbeiterinnen tritt dadurch eine Erhöhung (um 5,9 Prozent) ein - ein Erfolg, den sich die SPD an ihre Fahnen heftet. Im ursprünglichen Entwurf des Hauses Blüm war derartiges nicht vorgesehen, wodurch eine Absenkung der Renten für Arbeiterinnen um 5,2 Prozent eingetreten wäre. Aber auch in Zukunft wird eine durchschnittlich verdienende Arbeiterin nach einem Beispiel der SPD mit 40 Beitragsjahren nur 1.118 Mark (bisher 745 Mark) und mit 35 Beitragsjahren 978 Mark (bisher 652 Mark) erhalten.

Arbeitslosigkeit und Krankheit: Bisher hat die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) entsprechend ihrer Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld beziehungsweise -hilfe) Beiträge an die Rentenversicherungen gezahlt. Ab 1995 sollen die Beiträge der BfA auf Basis von 80 Prozent des früheren Bruttolohns berechnet werden. Parallel sollen die Krankenkassen mit EmpfängerInnen von Krankengeld verfahren. Dadurch entstehen Mehraufwendungen bei der BfA (und entsprechend Mehreinnahmen bei den Rentenversicherungen) in Höhe von vier Milliarden Mark jährlich. Dem steht gegenüber, daß Zeiten von Arbeitslosigkeit und Krankheit in Zukunft nicht mehr einfach als Ausfallzeiten (auf Basis von 100 Prozent des Bruttolohns) gutgeschrieben, sondern als Beitragszeiten (auf Basis von 80 Prozent des Bruttolohns) gelten sollen. Dies bedeutet: Arbeitslosigkeit und Krankheit werden sich ab 1995 (ursprünglicher Koalitionsentwurf: ab 1992 auf Basis von 75 Prozent des Bruttolohns) leistungsmindernd auf die Rente auswirken.

Anhebung der Altersgrenzen: Die Einigung über diesen letzten zwischen Koalition und SPD umstrittenen Punkt hat schließlich Ende letzter Woche den Durchbruch für ein gemeinsames Vorgehen der beteiligten Parteien gebracht. Ursprünglich wollte die Koalition bereits ab 1995 die Altersgrenze für den Bezug der vollen Rente schrittweise bei Männern und Frauen auf 65 Jahre erhöhen. Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen sträubte sich die SPD gegen eine Verlängerung der Lebensarbeitszeiten noch in diesem Jahrtausend und erreichte einen Kompromiß: Ab 2001 soll die Altersgrenze angehoben werden, so daß Männer im Jahre 2006, Frauen im Jahre 2012 bis 65 arbeiten müssen, wenn sie die volle Rente beziehen wollen. Nach wie vor kann man früher in den Ruhestand gehen, aber mit geringerer Rente.

Beamtenpensionen: Die beteiligten Parteien haben noch kein Konzept dafür, wie die Privilegien der Beamten abgebaut und damit Gelder für den durch die Rentenreform stärker belasteten Bundesetat freigemacht werden können. Das Kompromißpaket enthält lediglich eine Absichtserklärung, die „Harmonisierung der Altersicherungssysteme“ anzustreben.

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