Herzstillstand in der Taxe

■ Taxifahrer wollte entlassenen St.-Jürgen-Patienten nach Hause fahren: Herzstillstand / Als der Fahrer zur Intensivstation raste, stand er vor verschlossener Türe

Ein älterer Mann wird aus dem Klinikum St.-Jürgen-Straße entlassen. Er ist schwach auf den Beinen, seine Frau bittet den Taxifahrer, direkt bis zu ihrem Mann vorzufahren. „Der sah aus wie Magermilch mit Spucke, ich weiß gar nicht, wie man sowas entlassen kann“, sagt der Taxi-Fahrer kurze Zeit später, als er den leblosen Mann zurückbringen mußte. Heute, zwei Tage später, liegt der Mann auf der Inten

sivstation und „atmet spontan“, oder wie es Oberärzte auch ausdrücken: „Unterhalten kann man sich mit dem nicht.“

Nach ca. drei Minuten Fahrt, als der Wagen vom Zentralkrankenhaus kommend den Dobben erreicht hatte, war der Mann auf dem Rücksitz umgekippt. Der Fahrer tastete nach dem Puls, dem Atem. Nichts. Herzstillstand. Genauer: Herzkammerflimmern. Ein Mediziner: „Das Herz pumpt nicht mehr, die Muskeln zittern nur noch rum.“

Der Fahrer reagierte binnen Sekunden. Er hatte den Merksatz im Kopf, daß ein Mensch unbeschadet einen Herzstillstand nur für höchstens vier bis sechs Minuten überstehen kann. Über Funkzentrale ließ er die Intensivstation „St.-Jürgen-Straße“ alarmieren und raste mit Warnblinklicht zurück zum Krankenhaus. „In weniger als zwei Minuten“, so seine Selbsteinschätzung, fuhr er dort vor. Doch vor der Intensivstation erwartete ihn niemand. Die Taxi-Funkzentrale hatte seinen Notruf weitergegeben, war schließlich auch mit der zuständigen Ärztin verbunden und dann mit der

Frage konfrontiert worden: „Wer hat bei dem Mann die Diagnose gestellt?“

Dem Fahrer blieb schließlich nichts übrig, als zu klingeln und an der Gegensprechanlage zu drängen: „Ich hab hier einen Herzstillstand in der Taxe. Kommen Sie schnell.“ Nach Auskunft des Fahrers Jochen Ravenborg dauerte es „bestimmt eine halbe Minute, bis jemand raus kam.“ Zwei Schwestern hätten die Wagentüre geöffnet, dann den zusammengekrümmten, leblosen Mann, der während der rasanten Rückfahrt vom Rücksitz auf den Boden gerutscht war, in Augenschein genommen und gesagt: „Oh, tatsächlich.“ Die Ehefrau des Mannes war mittlerweile völlig aufgelöst und konnte nur noch wiederholen: „Oh jetzt ist er tot“. Schließlich sei eine Trage beschafft worden. Der Taxi-Fahrer: „Die hätten zwei Minuten sparen können. Sowas Töfeliges ist mir da nie vorgekommen. - Die Überheblichkeit stört mich: Das war kein Mediziner, der die Diagnose gestellt hat, also machen wir nichts.“

Innerhalb der Klinik gibt es

MitarbeiterInnen, die den „Empfang“ an der medizinischen Intensivstation ebenfalls mit kritischen Augen betrachten: „Das kann auch einem Notarztwagen passieren, daß Dich keiner empfängt, wenn Du da anrollst. - Das ist alles eine Personalfrage.“

Der verantwortliche Oberarzt Dr. Saupe sieht das anders. Zunächst einmal handele es sich um einen Extremfall: „Ich erinnere niemand, der im Taxi reanimationsbedürftig vorgefahren wurde“. Normalerweise würden PatientInnen mit Rettungs-, Notarztwagen oder Hubschraubern gebracht. Dann sei nicht ein „Herzstillstand“, sondern ein weit weniger dramatischer „Herzinfarkt“ von der Taxizentrale angekündigt worden. Und nach dem Anruf seien gerade erst drei Sekunden vergangen bis zum Vorfahren des Taxis. Und schließlich: Gebe es gerade in diesem Fall „überhaupt null“ Anlaß zur Kritik: „Als der Anruf kam, saß jemand am Telefon, das ist nicht immer der Fall. Und daß der Mann sofort von fünf Leuten versorgt wurde, ist auch nicht immer gegeben.“

Barbara Debus