: Entwicklungshilfe mit Bibeln und Gewehren
Nichtregierungsabhängige internationale Hilfsorganisationen (NGOs) erledigen oft das Geschäft das Pentagon in der Dritten Welt / Wo offizielle Delegationen keinen Zutritt haben, werden sie von religiösen Organisationen ersetzt / Konservative Trends zeichnen sich auch bei bundesdeutschen Hilfsorganisationen ab ■ Von Peter Kromminga
Heutzutage gehören auf jeden Briefkopf bundesdeutscher Entwicklungs- oder Umweltorganisationen der ins Englische übersetzte Name sowie die Bezeichnung NGO (Non Governmental Organization). Ursprünglich stammt der Begriff aus dem UNO -Jargon. Er bezeichnet diejenigen Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, deren Vertreter als Berater ohne Stimmrecht an den verschiedenen UNO-Kommissionen teilnehmen. Einen solchen von der UNO anerkannten NGO-Status haben zum Beispiel „World Wildlife Fund“ und die „Deutsche Welthungerhilfe“. Inzwischen ist NGO aber zu einem Sammelbegriff für alle möglichen nicht staatlichen Organisationen geworden. Daß die Bezeichnung „Nichtregierungsorganisation“ (NRO) nicht automatisch auch Regierungsunabhängigkeit bedeutet, zeigt ein Blick auf die NGO-Szene der USA.
Seit Jahren hält in den USA der Trend zur NGO an. Untersuchungen des „Ressource Centers“ in Albuquerque im amerikanischen Bundesstaat New Mexiko zeigen, daß sich Pentagon und Außenministerium der USA bestehende NGOs für Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) und die Strategie des „Low Intensity Conflict“ zunutze machen oder zu diesem Zweck einfach neue NGOs gründen.
Am 22.März 1961 verkündete US-Präsident Kennedy in einer an den Kongreß gerichteten Sonderbotschaft „den Beginn eines Jahrzehnts der Entwicklung“. Er reagierte damit auf die Entstehung nationaler Befreiungsbewegungen in den Ländern der Dritten Welt. Ein Jahr später gründete er die „Agency for International Development“ (AID) mit dem Auftrag, Entwicklungshilfegelder und Nahrungsmittelhilfe in die Kanäle der NGOs wie CARE oder dem „Catholic Relief Services“ einzuspeisen und die Gründung neuer NGOs voranzutreiben.
Nicht zufällig ist 1962 auch das Jahr, in dem zum ersten Mal im Haushaltsplan der Bundesrepublik der Titel 610 „Förderung entwicklungswichtiger Vorhaben der Kirchen in Entwicklungsländern“ auftaucht und die „Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe e.V.“ (EZE) und ihre katholische Schwesterorganisation gegründet werden, die beide hundertprozentig aus diesem Haushaltstitel finanziert werden. In einer Broschüre des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammennarbeit aus dem Jahr 1979 heißt es dazu: Die Bundesregierung hat „die entwicklungspolitische Zusammenarbeit der beiden Kirchen gesucht, weil sie die vielfältigen institutionellen und personellen Ansatzpunkte der weltweiten kirchlichen Einrichtungen und die speziellen, auf die konkrete Situation in den Entwicklungsländern bezogene Facherfahrung (zum Beispiel im Bildungs- und Gesundheitswesen) für die deutsche Entwicklungshilfe erschließen wollte“.
Wettlauf um politischen Einfluß
Ohne Erfolg protestierte eine innerkirchliche Opposition, angeführt vom damaligen Berliner Missionsdirektor Brennecke, gegen diesen Versuch staatlicher Nutzung kirchlicher Entwicklungshilfestrukturen. Brennecke stellte damals den Zusammenhang klar: „Ein neuer Wettlauf um den Einfluß der politischen Mächte in den Kontinenten, die man heute die Entwicklungsgebiete nennt, hat begonnen.“
In den USA gab es in den siebziger und achtziger Jahren einen regelrechten Boom von NGO-Gründungen, nicht zuletzt auf Initiative von AID. Das „Ressource Center“, das inzwischen die umfangreichste Datenbank über nordamerikanische NGOs besitzt, nennt in seinem neuen Bulletin für diesen Boom mehrere Gründe:
-das Erstarken der evangelikalen und fundamentalistischen Bewegung in den USA. Die verschiedenen Gruppen dieses Spektrums traten nicht nur publikumswirksam mit ihren Fernsehpredigern in Erscheinung, sondern bauten still aber konsequent zahlreiche Hilfsorganisationen auf. Darüber hinaus schickten sie Tausende von Missionaren in die Länder der Dritten Welt.
-Das sinkende Engagement der US-Regierung in großen Infrastrukturprojekten und die wachsende Finanzierung kleiner Entwicklungsprojekte von NGOs.
-Die wachsende Privatisierung der von den USA unterstützten Entwicklungsprojekte und
-das wachsende Interesse des Pentagon und des Außenministeriums an der Nutzung privater Organisationen und humanitärer Hilfe für den Low Intensity Conflict (LIC).
Religiöse parakirchliche Organisationen spielen dabei eine immer wichtigere Rolle. Je weiter sich die großen liberalen Kirchen, die sogenannten „Mainline-Churches“ unter dem Dach des Nationalen Kirchenrats (NCCUSA) und der nordamerikanischen katholischen Bischofskonferenz unter dem Druck des wachsenden Selbstbewußtseins ihrer Partnerkirchen der sogenannten Dritten Welt aus der Mission zurückzogen, um so mehr machten sich die religiösen Transnationalen der US -amerikanischen Evangelikalen und Fundamentalisten wie „World Vision“ und „Campus Crusade for Christ“ in diesen Ländern breit.
Kommunisten verhindern
Allen Dansforth, bekehrter Banker und Gründer von „World Gospel Outreach“ bekennt, das Programm seiner Organisation in Honduras zur Verteilung von Nahrung und Medizin, sei „der Versuch, die kommunistische Machtübernahme in Honduras zu verhindern“. Die Kommunisten, so Dansforth, „gewinnen ihre Anhänger mit materiellen Anreizen. Es ist Zeit, daß wir Evangelikalen das Gleiche tun.“
Das Credo dieser Organisationen kommt in zweierlei Gestalt daher: Am verbreitetsten ist die Botschaft, wahre Gläubige sollten Regierungen als gottgegeben akzeptieren und sich nicht in Gewerkschaften und Campesino-Vereinigen beteiligen, da diese nur materialistische Interessen verfolgten. Andere verbreiten die weitaus militantere Botschaft, wahre Gläubige hätten sich am Kampf gegen den kommunistischen Antichristen etwa in Nicaragua, Afghanistan, Angola und Mosambik zu beteiligen. Im ersten Fall bringen die Evangelikalen mit der Bibel Nahrung und Medizin, im anderen Waffen und Munition.
Sie unterstützen im Rahmen der „Low-Intensity-Conflict„ -Strategie Contra-Banden in Nicaragua, Angola und Mosambik und antikommunistische Bastionen wie Südafrika, Israel und Guatemala bei ihren Counterinsurgency-Programmen. In El Salvador veranstaltet eine neue Gruppe mit dem Namen „Paralife International“ Seminare zum Thema Die Bedeutung der Kirche vor Ort in der lokalen Politik und predigt in den Militärunterkünften den Kampf gegen den Antichristen. Ein von Paralife finanzierter und bekehrter Vietnamveteran bekannte vor einer Gruppe von Soldaten: „Töten aus Spaß ist falsch, aber töten, weil es notwendig ist für den Kampf gegen ein antichristliches System, ist nicht nur richtig sondern eine Pflicht für jeden Christen.“
Das Interesse der staatlichen Vergabeorganisation AID an der Nutzung von NGOs ist offensichtlich. NGO-Projekte sind effektiver und billiger als staatliche, seien es US -amerikanische oder lokale. Vor allem aber ist es NGOs möglich, Gebiete zu „erobern“, die den jeweiligen Regierungen oder gar offiziellen amerikanischen Organisationen unzugänglich wären.
Finanzen für die Privatwirtschaft
In Mittelamerika führt der immense Zufluß amerikanischer Gelder zur Gründung immer neuer NGOs und NGO-Dachverbänden. AID unterstützt aber nur solche NGOs, die den freien Markt und den Export fördern. In El Salvador gehen 75 Prozent der AID-Gelder an NGO-Projekte, die diesen Kriterien entsprechen. 30 Millionen US-Dollar erhielt alleine eine Stiftung salvadorianischer Top-Geschäftsleute, die sich die Lösung der ökonomischen Probleme des Landes durch die Förderung US-amerikanischer Investitionen und den Export in die USA zum Ziel gesetzt hat. Ein weiterer Teil der Gelder geht an Projekte, die kleine privatwirtschaftliche Unternehmungen, sogenannte „microentrepreneurs“, fördern. Den Rest erhalten sogenannte „sozialmarktwirtschaftliche“ Programme im Erziehungssektor und der medizinischen Versorgung. Ein Beispiel aus Honduras: Nachdem Militär und Vigilantes-Gruppen durch ständige Repression die Erziehungsprogramme progressiver katholischer Organisationen für Campesinos zum Erliegen gebracht hatte, initiierte AID in Honduras die Gründung einer neuen NGO namens „Avance“. Avance baut im ganzen Land Zeitungen und Radiostationen auf und verbreitet eine konservativ-populistische Botschaft. Die Campesinos erhalten eine eigens für sie produzierte Zeitung: „Wir vermitteln Euch die Werte, die Euch erfolgreich in Eurer Arbeit machen und Euch die Fähigkeit geben, Euer eigenes Geschäft und Eure eigene Initiative zu entwickeln.“
Wende in der Bonner Entwicklungspolitik
Auch unter den kirchlichen NROs (Nichtregierungsorganisationen) der BRD ist in den letzten Jahren einiges in Bewegung geraten. Nach der Wende der bundesdeutschen Entwicklungspolitik hin zu Exportbindung, Mischfinanzierung und zur Förderung des freien Marktes in den Entwicklungsländern kommt es verstärkt zu Konflikten zwischen den kirchlichen Trägern der Entwicklungshilfe und dem BMZ. Die Partner der kirchlichen Entwicklungshilfe sind in der Regel die Nationalen Kirchenräte, die in vielen Ländern der Dritten Welt wie etwa in den Philippinen oder Südkorea dem progressiven Sektor zuzurechnen sind und Basisentwicklungsprojekte durchführen. Gleichzeitig baut die „Evangelische Allianz“, der Dachverband reaktionärer evangelikaler Gruppen, wie die Bewegung „Kein anderes Evangelium“ am Rande und außerhalb der EKD, in allen kirchlichen Bereichen sogenannte „Parallelstrukturen“ auf. Lange Jahre hat die „Evangelische Allianz“ erfolglos versucht, der EKD von innen her den Stempel ihrer betont individualistischen Frömmigkeit und einer konservativen Ideologie aufzudrücken. Jetzt wurde als Gegenstück zu „Brot für die Welt“ „Hilfe für Brüder“ und zu „Dienst in Übersee“ die Organisation „Christliche Fachkräfte International“ gegründet. Noch ist das entwicklungspolitische Konzept der Evangelikalen reichlich beschränkt.
Ihr Ziel ist die Mission durch Evangelisierung und die Verteilung von Bibeln. Sie wenden zwar auch Hilfs- oder Erziehungsprogramme an, um ihre Mission voranzutreiben. Eine Förderung dieser Art der Entwicklungshilfe mit staatlichen Geldern dürfte vorerst ausgeschlosen sein. In der Grundsatzvereinbarung zwischen der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe und der Bundesrepublik Deutschland vom 13.Juli 1962 heißt es: „Projekte, die missionarischen Charakter haben, scheiden aus der Förderung aus.“ Allerdings ist die inhaltliche Übereinstimmung von Evangelischer Allianz und Bundesregierung zu offensichtlich und der Kontakt so eng, daß sicher bald Wege zur Förderung von Projekten der Evangelischen Allianz aus Bundeshaushaltsmitteln gefunden werden.
Werner Lachmann, Professor der Volkswirtschaft und in der EKD-Synode in Wirtschaftsfragen Wortführer der Evangelischen Allianz, offenbart das wirtschaftspolitische Credo der Evangelikalen: „Nur weil der Westen wirtschaftlich so stark ist, kann er auch ärmeren Ländern helfen... Heute ist nur noch die soziale Marktwirtschaft in der Lage, die ökonomischen Weltprobleme zu lösen.“ Ende 1985 kam es zum ersten Gespräch zwischen Bundeskanzler Kohl und dem Hauptvorstand der Evangelischen Allianz. Der Vorsitzende des Vorstandes, Fritz Laubach, ließ keinen Zweifel an seiner Bewunderung für die Wendepolitik der Bundesregierung: „Die Deutsche Evangelische Allianz ist dafür dankbar, daß die Politik der Bundesregierung zu einer Wende geführt hat im Sinne der Stabilisierung der Bündnis- und Sicherheitspolitik sowie der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik.“
Informationen zur parakirchlichen Szene in den USA, Dossiers zu bestimmten NGOs sowie eine Liste der Veröffentlichungen des Resource Centers bei: The Inter -Hemispheric Education Resource Center, Box 4506, Albuquerque, New Mexico 87196, USA
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