: Besonderer „Land-Lohn“
Heute beschließt der Bundesrat die Einführung einer BRD-Billig-Flagge ■ Aus Hamburg Florian Marten
Ob das, was der Bundesrat heute entsprechend eines Bundestagsbeschlusses vom 9.Dezember 1988 absegnen will, noch unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung entspricht, wird wohl der Bundesgerichtshof klären müssen. Das „Gesetz zum Zweiten Schiffsregister“, das heute aller Voraussicht nach im Bundesrat abgesegnet wird, muß mit einer Normenkontrollklage des Aktionsbündnisses rechnen, in dem sich ÖTV, DAG, Grüne und SPD zusammengeschlossen haben. Das neue Gesetz, von dem 17.000 westdeutsche Arbeitsplätze auf den 266 Handelsschiffen unter der BRD-Flagge betroffen sein werden, hat es nämlich in sich. Auch unter deutscher Flagge, so die Vorlage, sollen in Zukunft deutsche Tariflöhne offiziell keine Gültigkeit mehr haben. Ausländische Seeleute auf Schiffen unter der neuen Flagge erhalten demnach „Heimat -Land-Lohn“. Zwei Rechtsgrundsätze werden damit ausgehebelt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit (Gleichheitsgrundsatz) und die Gültigkeit des deutschen Arbeitsrechtes auf deutschem Boden - denn Schiffe unter BRD-Flagge gehören zum bundesdeutschen Hoheitsgebiet.
Der Reiz, die deutsche Flagge billiger zu machen, hat noch einen eigenen Grund: Bundesmarine und Nato legen Wert auf eine nationale Handelsflotte, die im Kriegsfall den Militärs zur Verfügung steht.
Die Weltschiffahrtskrise der letzten Jahre bot den westdeutschen Reedern die langersehnte Gelegenheit, zum Angriff auf die Sozialstandards unter nationaler Flagge zu blasen. In der Zange zwischen hoher Steuerlast und teuren Tariflöhnen, so die Reeder, trage die BRD-Handelsflotte ökonomische Mehrlasten von 800 Millionen Mark jährlich. Die Bitte fand Gehör. Die Steuern werden gesenkt, die Billigflagge eingeführt. Bei einem 30.000-Tonnen-Container -Linienschiff kostet eine Tariflohnmannschaft zwei Millionen Mark jährlich, eine ausgeflaggte Mannschaft 800.000 Mark. Das Zweite Register bringt einen Mittelwert: 1,3 Millionen Mark. Eine Mindestanzahl westdeutscher Seeleute, vor allem auch Kapitäne und Offiziere, müßte man noch behalten. So sollen auch nur 10.000 der 17.000 derzeitigen Tariflohn -Arbeitsplätze verschwinden. Extra-Gewinn für die Reeder: 250 Millionen Mark jährlich.
Die ökonomische Notwendigkeit einer solchen verfassungsrechtlich zweifelhaften Gabe an die Reeder ist mittlerweile längst entschwunden. Nach Jahren großer Krisen brachte 1988 den Reedereien einen Boom, der auch 1989 anhalten wird. 1988 expandierte der Weltseeverkehr um sagenhafte acht Prozent, die Frachtraten klettern, die Reeder melden Gewinne und stellten nach Jahren der Arbeitsplatzvernichtung 800 Seeleute neu ein. Für Henry de la Trobe, früher Chef des Deutschen Reederverbandes, ein zusätzliches Argument: Im Boom ließe sich der „notwendige Strukturwandel“, der Abbau der BRD-Tarifarbeitsplätze, „angenehmer abwickeln“.
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