: Zur Ökonomie der Ausländerfreundlichkeit
■ Die 'Wirtschaftswoche‘ legt sich mit den Ausländerfeinden in der Kohl-Regierung an, weil nur durch Einwanderung die Zukunft der bundesdeutschen Wirtschaft gesichert werden kann
Berlin (taz) - Die Bewegung gegen Ausländerfeindlichleit hat einen mächtigen publizistischen Verbündeten bekommen. Eine schallende Ohrfeige verpaßt die 'Wirtschaftswoche‘ in ihrer am Freitag erschienenen Ausgabe den Konservativen innerhalb der CDU, die aus dem Wahlsieg der Republikaner den Schluß gezogen haben, daß nur eine Öffnung nach rechts zukünftige Mehrheiten sichert. Einwanderer: Motor für die Wirtschaft ist die Ausgabe provokant und in überaus ungewöhnlicher Wortwahl betitelt. Das Foto - offenbar in der Tiefgarage des Düsseldorfer Verlagshauses hergestellt zeigt die Parole „Ausländer rein!“ - das ursprüngliche „raus!“ ist durchgesprüht.
Natürlich - die 'Wirtschaftswoche‘ wäre nicht die 'Wirtschaftswoche‘, wenn sie nicht von vorne bis hinten mit Angebot und Nachfrage argumentieren würde: „Übersehen wird, daß der Bevölkerungsrückgang in Europa sogar zum Wettbewerb um Menschen führen wird.“ Die Ökonomie der Ausländerfreundlichkeit rund um den „modernen“ Flügel der CDU herum setzt sich aus einer ganzen Reihe von Elementen zusammen.
Da ist zunächst eine wirtschaftliche Zukunft, die über die nächsten Wahltermine hinausgeht. Nicht nur in der BRD, sondern im gesamten Zentraleuropa gehen die Geburtenzahlen zurück. Ergebe sich die Frage, wie die BRD dann ihren „Einwanderungsbedarf“ decken könne - jedenfalls nicht mit einer Ausländerpolitik, der die Konsistenz fehle. Deren Denkformen würden von den Folgen des Zweiten Weltkrieges, von Flucht und Vertreibung und Übersiedlern aus der DDR bestimmt. Den „Wirtschaftsflüchtlingen“ gereiche ihr Erwerbssinn und Fleiß zum Nachteil - also genau das, was als deutsche Tugenden „zu Recht“ immer hochgehalten werde, klagt das Blatt. Und, noch erstaunlicher: „Scheinasylanten sollen abgeschoben werden, weil sie der Sozialhilfe zur Last fallen. Ihnen wird aber per Gesetz untersagt, zu arbeiten und ihre Familien zu unterhalten.“
Ohnehin mache die verwirrende Grenzziehung zwischen den zahlreichen Kategorien von Ausländern keinen Sinn: „Mit und ohne Paß, die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung kennt nur 'Inländer'“, merken die Autoren Herz und Tichy kühl an und tragen flugs zusammen, welche Folgen etwa die von Innenminister Zimmermann und Republikaner-Chef Schönhuber geforderte Rotation von AusländerInnen hätte:
In der modernen Industrie ist nicht mehr der angelernte Fließbandarbeiter gefragt, sondern der hochqualifizierte Facharbeiter. „Es geht somit bei der Arbeitskräftenachfrage nicht um Nationen (Deutsche oder Ausländer), sondern vielmehr um Qualifikationen“, steuert Fritz-Heinz Himmelreich für die Deutschen Arbeitgeberverbände bei.
Mit Aussiedlern die lästigen Türken zu verdrängen, gehe ohnehin nicht, denn sie können höchstens den Bevölkerungsverlust seit 1981 ausgleichen. Zwar seien die Aussiedler im Durchschnitt jünger als die Bundesdeutschen, aber wiederum nicht jung genug, um für die Rentenversicherung eine Entschärfung zu bedeuten - im Gegenteil.
Nachteilig ist das Ausländerrecht schon jetzt für die weltzugewandte bundesdeutsche Wirtschaft - das Blatt hat gleich zwei drastische Beispiele parat: Eine teure Woche lang wartete ein Labor der Kernforschungsanlage Jülich auf einen hochspezialisierten Ingenieur aus Jugoslawien - doch den versuchten Ausländeramt und Botschaft als vermeintlichen Wirtschaftsflüchtling festzuhalten. Und: Ein indischer Gentechnologe heiratete pro forma, um in der BRD einen High -Tech-Betrieb zu gründen, der vom Bundesforschungsministerium gefördert werden sollte.
Das Defizit an qualifizierten Wissenschaftlern könne auch nicht mit Ausländerbehörden bewältigt werden, die darauf gedrillt sind, ausländische Studenten und Berufsanfänger „abzuwimmeln“. Vorbild USA: Bis zu vierzig Prozent der Wissenschaftler in den Labors seien Ausländer.
Aber es geht nicht nur um die Hoch-, sondern auch um die weniger Qualifizierten. Lehrstellen auf dem Bau und in zahlreichen Handwerksberufen könnten nicht besetzt werden und Einwanderer verdrängen nicht die deutschen Arbeiter, sondern dienen als Lückenbüßer, weil in zahlreichen Branchen und in der Nachtschicht keine Frauen eingesetzt werden.
Zudem: Was geschähe, wenn die Ausländer tatsächlich raus müßten? Jeder Zehnte im Baugewerbe, jeder Fünfte in Gaststätten und Hotels, jeder Vierte in Gießereien und jeder Dritte im Bergbau hat einen ausländischen Paß. Ein Wirtschaftsfaktor sind die AusländerInnen auch: In Düsseldorf, hat die Verwaltung der Landeshauptstadt ausrechnen lassen, würde jährlich 50 Millionen Mark Kaufkraft und zehn Millionen Mark Steuern verloren gehen. Hat nicht fast jede Ausländerfamilie ein Sparguthaben bei einer deutschen Bank oder Sparkasse? Geben nicht AusländerInnen erheblich mehr für Unterhaltungselektronik, Möbel und Autos aus? Und für den Wohnungsmarkt gilt: „Viele Altbauwohnungen könnten ohne sie kaum oder gar nicht vermietet werden.“
Sogar die Auslandsüberweisungen gehören hier noch hinein: Wegen der Verbesserung der Devisensituation in den Heimatländern kaufen sie mehr Waren in der BRD - ein „gleichgerichteter Zusammenhang“.
diba
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