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Geldstrafen für Umweltskandal

Landgericht Hof verurteilte Manager der „Chemischen Fabrik Marktredwitz“ zu 110.000 und 80.000 DM Geldstrafe / Jahrelange hochgradige Verseuchung mit Quecksilber / Streit um Belastung der Bevölkerung  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Den bisher größten Umweltskandal Bayerns ahndete das Landgericht Hof mit Geldstrafen. Die beiden Chefs der „Chemischen Fabrik Marktredwitz“, Rolf und Oskar Tropitzsch, wurden wegen vorsätzlicher und fahrlässiger umweltgefährdender Abfallbeseitigung und Verunreinigung von Gewässern sowie des unerlaubten Betriebes von Anlagen zu Geldstrafen von 110.000 und 80.000 DM verurteilt. Der Betriebsleiter kam mit 10.500 DM davon. Vom Vorwurf der schweren Umweltgefährdung sprach Richter Weirich die Angeklagten dagegen frei. Die Staatsanwaltschaft hatte für die Hauptangeklagten Haftstrafen von zwei Jahren und acht Monaten beziehungsweise zwei Jahren und drei Monaten gefordert und ausdrücklich Bewährung ausgeschlossen.

Im Juni 1985 mußte die älteste Chemiefabrik Deutschlands (Gründung 1788), in der vorwiegend quecksilberhaltige Saatbeiz-, Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel hergestellt wurden, auf Betreiben des Landratsamtes Wunsiedel geschlossen werden. Die Kripo Hof hatte in dem direkt an der Fabrik vorbeifließenden Bach Kösseine eine 400fache Überschreitung der Quecksilbergrenzwerte gemessen. Heute noch arbeitet eine Berliner Spezialfirma an der Entseuchung des mitten in der Stadt gelegenen Fabrikgeländes. Teilweise konnte man Quecksilberverbindungen von den Wänden kratzen; hochtoxische und explosive Chemikalien, in durchgerosteten Fässern auf dem Fabrikgelände vergraben, wurden entdeckt. Auf bis zu sieben Meter Tiefe muß das Erdreich abgegraben werden. Die Gesamtkosten für die Sanierung werden auf 60 bis 90 Mio. DM geschätzt. Bereits vor dem Verfahren war sich Staatsanwalt Heindl darüber im klaren, daß „die Sauerei viel größer ist als die Strafen, die zu erwarten sind“. So konnte er aufgrund der „schwierigen Beweislage“ schwere gesundheitliche Schäden und sogar Todesfälle von CFM -Mitarbeitern, die im Zusammenhang mit Quecksilbervergiftungen stehen, nicht anklagen. Jahrelang hatte die Berufsgenossenschaft Chemie Hand in Hand mit dem Erlanger Institut für Arbeits- und Sozialmedizin von Dr.Valentin bei CFM-Beschäftigten statt chronischer Quecksilbervergiftung Altersschwäche, Alkoholismus oder Tuberkulose diagnostiziert. Auch die zuständigen Behörden, die seit 1974 Bescheid wußten, ohne einzuschreiten, fehlten auf der Anklagebank. 61mal hatte das Gewerbeaufsichtsamt in den letzten zehn Jahren die Fabrik kontrolliert. Die Stadtverwaltung von Marktredwitz, Regierung und Wasserwirtschaftsamt von Oberfranken sowie das bayerische Innenministerium wußten, wie aus Schriftwechseln hervorging, bestens Bescheid.

Noch heute streiten sich die bayerische Staatsregierung und die Bürgerinitiative von Marktredwitz über die Quecksilberbelastung der Bevölkerung der Kleinstadt. Während das Innenministerium „keine Gefahr“ sieht und dafür mit Untersuchungsergebnissen der Universität München aufwartet, vergleicht der von der BI eingeschaltete Münchener Toxikologe Max Daunderer aufgrund eigener Tests die Situation in Marktredwitz mit einer „Zeitbombe“. Er will nicht ausschließen, daß ganze Ortsteile evakuiert werden müßten. Die Stadt will gegen Daunderer wegen „menschenverachtender Äußerungen“ rechtliche Schritte einleiten.

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