: Politisch (ver)handeln
■ Die rot-grüne Verantwortung für den Hungerstreik
Seit zehn Tagen sind zwei Berliner gefangene Frauen in einem Hungerstreik, der von einer Vielzahl von Gefangenen in West -Berlin und der BRD gemeinsam aufgenommen wurde. Beide sind seit 1978 in Haft und haben mehr als zwei Drittel ihrer Haftstrafen abgesessen. Der einen, Angelika Goder, wird seit Jahren eine dringend notwendige Hüftoperation unter menschenwürdigen Bedingungen verweigert. Beide fordern mit ihrem Hungerstreik die Zusammenlegung mit anderen politischen Gefangenen.
Der altersstarrsinnige Generalbundesanwalt in Stuttgart hat auf diesen Hungerstreik mit einem Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Gefangenen und ihre UnterstützerInnen und Verwandten reagiert. Von ihm ist so wenig eine politische Lösung zu erwarten wie vom Bonner Justiz- und Innenminister. Nach der Logik dieses Hungerstreiks werden die ersten Gefangenen um den 10. bis 15. März in akuter Lebensgefahr sein. Bis zum 10. März werden die Berliner Verhandlungen um eine rot-grüne Regierung nicht zum Abschluß gekommen sein. Wir erinnern uns alle an den im Vorwahlkampf 1981 geführten Hungerstreik, in dem die Berliner Polizei während einer Demonstration für einige Stunden den Kudamm räumte, um eine Nacht der Scherben der Vitrinen und Schaufenster des Boulevards zu erleben. Es wird sicherlich nicht wenige in Senat und Polizei geben, denen ein solches Ereignis während der laufenden Verhandlungen zwischen AL und SPD gerade in ihren Kram passen würde.
Deshalb muß, bevor durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes der hungernden Gefangenen politische Spielräume verloren gehen, eine auf Landesebene verbindliche Zusage der SPD und AL für eine politische Lösung geschaffen werden. Die ist: sofortige Anweisung an die Staatsanwaltschaft, die Entlassung beider gefangenen Frauen nach den Vorschriften der StPO über die Strafaussetzung eines Strafrestes zur Bewährung sofort wohlwollend zu prüfen. Außerdem müssen sofort Verhandlungen mit den Justizministern in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen aufgenommen werden, mit dem Ziel fester Zusagen zur Zusammenlegung der in diesen beiden Ländern inhaftierten betroffenen Gefangenen nach Bildung einer rot -grünen Koalition in Berlin. Wenn hier nicht schnell verbindliche Zusagen vorliegen, die durchaus auch ein rot -grüner Schattenjustizsenator bereits einholen kann, brauchen die Verhandlungsführer der beiden Parteien nur auf das Ende der Verhandlungen zu warten: Wenn erst der Kudamm in Scherben liegt und der erste Gefangene zu sterben droht, sind politische Spielräume nicht mehr vorhanden.
Jony Eisenberg
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