Wenn sich viel regt zerbröseln starke Mauern

10.000 demonstrieren in Essen Solidarität mit Ingrid Strobl / „Es gibt nichts Schöneres, als von euch zu hören“: Grüße von Ingrid Strobl aus dem Knast, besonders an den Frauen- und Lesbenblock / Verletzte und Festnahmen zum Abschluß der Demonstration  ■  Aus Essen Walter Jakobs

„Wir spielen hier für euch und Ingrid Strobl, und wir hoffen, sie wird etwas davon hören.“ Um das zu verhindern, hätte man den Essener Knast schon räumen müssen, denn das Kölner Blasorchester „Dicke Luft“ blies, von vieltausendfachem Beifall unterstützt, keine 150 Meter von den Knastmauern entfernt in die Trompeten. Persönlich gegrüßt wurde dann wenig später über die Mauern hinweg auch die jüngst in Düsseldorf zu neun Jahren Haft verurteilte Duisburgerin Barbara Perau, die sich seit dem 1.Februar am Hungerstreik beteiligt. Als die Kölner Combo am Samstag nachmittag aufspielte, lag ein dreieinhalbstündiger Fußmarsch quer durch die Essener Innenstadt hinter den DemonstrantInnen, die lautstark die Abschaffung des §129a forderten und sich immer wieder mit dem Hungerstreik der Gefangenen aus RAF und Widerstand solidarisierten.

10.000 Menschen hatten die Veranstalter gezählt, der Rundfunk meldete 78.000 und selbst die Polizei sprach offiziell von „5-6000 Demonstranten, davon 2.000 vermummt“. Nie zuvor hat es bei vergleichbaren Anlässen eine größere Beteiligung gegeben. Eine erfolgreiche Mobilisierung, die allerdings ausschließlich den „Schwarzen Block“ und demonstrationserfahrene Grüne und Alternative erfaßte. Die gesellschaftliche Isolation der TeilnehmerInnen war an jeder Ecke der Essener Innenstadt spürbar. Das einkaufende Volk wußte von nichts. „Was wollen die? Strobl, wer ist denn das?“ Ratlose PassantInnen, mit denen kaum einer der in Ketten formierten DemonstrantInnen diskutierte. „Iso-Haft ist Folter, Iso-Haft ist Mord, Zusammenlegung jetzt sofort“, skandierten die einen, und die anderen standen am Rande, und niemand machte den Versuch, ihnen im persönlichen Gespräch zu erklären, was denn wohl mit „Iso-Haft“ gemeint ist. Im Demonstrationszug selbst, der von einem Frauenblock angeführt wurde - „der größte Zuhälter ist der Staat, gegen Imperialismus und Patriarchat“ -, war die Solidarität mit den 43 hungerstreikenden Gefangenen das beherrschende Thema. Am meisten Applaus gab es auf der Abschlußkundgebung für eine Mutter aus der Angehörigengruppe, die die Haftbedingungen als ein System beschrieb, wodurch „unsere Kinder an Körper und Geist langsam vernichtet werden“. Daß gegen alle Beteiligten des Hungerstreiks nun ein neues 129a -Verfahren wegen mitgliedschaftlicher Betätigung eingeleitet wird, wertete die Mutter einer RAF-Gefangenen als ein Manöver des Staatsschutzes, um „Besuche der Angehörigen und Veranstaltungen zum Hungerstreik verbieten zu können“. Eine Hamburger Rechtsanwältin hatte zuvor davon gesprochen, daß die Hungerstreikenden „entschlossen und voller Zuversicht“ seien, „ihr Ziel zu erreichen“. Das sei deshalb „nicht unrealistisch, weil viele mit ihnen solidarisch sind“. Der „gestaffelte Streik“ - in der nächsten Woche werden nur zwei Gefangene der ersten Gruppe weitermachen, die anderen hören vorrübergehend auf, während neue in den Hungerstreik treten

-gewährleiste, daß der Staat sich „nicht auf einen kurzen Zeitraum einstellen kann“. Spätestens Ende März wird es für die ersten zwei Gefangenen lebensbedrohlich.

In den Kundgebungsbeiträgen ging es neben dem Hungerstreik um die weitere Ausweitung des 129a, um Beugehaft für Zeugen, um Gentechnologie, Sextourismus und Abschiebung von Flüchtlingen. Es sei an der Zeit, so ein Redner zu der aktuellen 129a-Praxis, „daß wir ihnen klar machen, daß das so nicht weiter läuft“.

Nimmt man die jüngste Münchener 129a-Verurteilung wegen Propagierung der Forderung nach Zusammenlegung zum Maßstab, hätte die Polizei in Essen eigentlich alle TeilnehmerInnen festnehmen müssen. Dem stand wohl nicht nur die große Zahl entgegen, sondern auch die Aussicht auf eine für alle Beteiligten höchst gefährliche Schlacht. So beließen es die Poizeitruppen dabei, besondere Objekte wie Banken zu schützen und die von ihnen als besonders militant eingeschätzten Gruppen während der Demonstration zu eskortieren. In diesen Rahmen fügte sich das Flugblatt der Polizei, das dazu aufforderte, „Gewalttäter“ zu „isolieren“ und sich von „passiv bewaffneten und vermummten Teilnehmern“ zu „distanzieren“. Auch bei den „Mitbürgern“ stieße die Demo auf Unverständnis, wenn sie „unfriedlich verläuft“. Kurz vor Schluß gab es dann auf dem Kundgebungsplatz doch noch ein gewalttätiges Finale. Der Ermittlungsausschuß sprach von 28 verletzten DemonstrantInnen: viele Platzwunden durch Polizeiknüppel, eine Nasenfraktur, eine üble Finger- und Augenverletzung. Laut Polizeisprecher sind sieben Beamte leicht verletzt worden. Ursache der Auseinandersetzung war nach Darstellung des Polizeisprechers, daß „eine kleine Gruppe von Demonstranten Plastersteine ausgebuddelt hat“. Beim „Abdrängen“ der Gruppe sei es dann zum Knüppeleinsatz gekommen. „Gebuddelt“ worden ist tatsächlich, und eine SEK -Einheit nahm dies prompt zum Anlaß, um auf alle einzuschlagen, die sich in Knüppelreichweite befanden. Im Rahmen dieser brutalen Schlägereien wurden dann sieben Personen vorrübergehend festgenommen.

Über eine Besucherin ließ Ingrid Strobl den DemonstrantInnen am Ende mitteilen, von den vielfältigen Solidaritätsaktionen draußen zu hören sei „das Schönste was einem hier drinnen passieren kann“. Mit „tausend Küssen“ grüßte Ingrid Strobl, deren Prozeß am 14.Februar in Düsseldorf beginnt, alle Anwesenden, darunter eine Gruppe ganz besonders: „Dem Frauen-und Lesbenblock einen extra Kuß.“