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Ein schöner Film

■ Debbie Goodstein: Voices from the Attic

Es ist so schön hier. Die satten warmen Sommerfarben, dickes gelbes Feld und frisches Grün. Man hört die Hühner, man hört Geräusche von den Maschinen auf den Feldern, ein Hund bellt. Die Häuser haben schiefe Dächer in rot, auf der Straße geht eine Mutter mit ihrem Mädchen.

Polen 1988. Die Kleinstadt Urzejowice liegt keine Bahnstunde von Auschwitz entfernt. Hier, in der Nähe dieser Kleinstadt auf dem Dachboden eines Bauernhauses versteckten sich sechzehn Mitglieder einer jüdischen Familie zwischen 1942 und 1944. Dreizehn von ihnen überlebten. Zwei Jahre lang lebten sie dort auf engem Raum mit nur 15 Quadratmetern, wo die Erwachsenen nicht stehen könnten. Er war nur 1,65 m hoch.

Es gibt hier nur eine Kirche, sagt Tante Sally, davor bin ich wieder zuhause. Bilder einer Reise von Amerika nach Polen. Die Kamera zeigt auf fest ineinandergefaltete Hände. „Voices From the Attic“, Stimmen vom Dachboden, von Debbie Goodstein der im Forum gezeigt wird, ist ein liebevoller kluger trauriger Film über damals und heute. Sally Frishberg war damals neun Jahre alt. Heute ist sie mit fünf Nichten noch einmal hier. Das Grauen hat ihr Leben bestimmt und belastet. Sally hat fast nichts erzählt, nichts richtiges. Sie wollte die Töchter schützen. Aber das Schweigen saß in den Ängsten der Kinder. Auch die Mutter von Debbie, Schwester von Sally, hat so gut wie nie etwas erzählen können. Sie hat Angst zurückzukehren, hat Angst vor der Erinnerung an das Trauma. Sie bleibt in Amerika.

Man sieht den kleinen Trupp Amerikaner, die Juden sind, durchs Dorf laufen. Die Nervosität von Sally, jedes Gefühl beim Suchen und Erinnern. Auch die teilweise herbe Distanz der ehemaligen Nachbarinnen - wissen Sie noch, wer ich bin?

-Alte Frauen stehen da, mit dicken Armen. Ohne Tränen. Umarmungen von denen nicht ganz klar ist, ob sie gemeint sind.

Man sieht alte Familienfilme, den Großvater und den Vater. Und zwischendrin den Überfall der Deutschen. Ein deutscher Offizier, ein Herrn Arnold hat bei der Familie gewohnt. Er hat den Vater gewarnt. Dies sei ein anderer Krieg. Er hat ihn so sehr gewarnt, daß der Vater beschloß mit seiner Familie nicht am Bahnhof zu sein. Sie versteckten sich im Heu. Später auf dem Dachboden. Die Bauern mußten bestochen werden mit allem Schmuck und Pelz. Freiwillig halfen sie nicht. Sally Frishberg weint. Das Baby was ausgesetzt werden mußte, weil es so laut weinte. Es starb vor der Kirchentür. Immer mußten sie muksmäuschenstill sein. Sie waren Kinder. Die Großmutter starb.

Damals, drei Monate nach der Befreiung kamen Polen und drohten ihnen mit Tod, wenn sie nicht sofort das Land verlassen. Heil Hitler rufen polnische Kinder den Amerikanern zu. An dem ehemaligen Haus der Juden, ist auf einmal ein Hakenkreuz. Noch nicht mal richtig gemalt, sagt Sally. Dieser Film ist schön. Es ist schön, weil die Gefühle echt sind, und die Bilder einen Prozeß von Aufarbeitung zeigen. Er ist schön, weil diese Menschen überlebt haben, weil wir sie lachen sehen. Weil unser Mitleid und unsere Scham lebendig werden. Weil wir uns freier fühlen. Aber wovon?

„Jacoba“ ist ganz anders, er wurde zusammen mit Voices gezeigt, was nicht gut für ihn war. „Jacoba“ ist steif, zurückhaltend, ein bißchen fade, unlebendig. „Jacoba“ handelt von Toten. Joram ten Brink hat den Film über seine Familie gemacht, und die Familie derer, die sie versteckt hat. Er hat die Nachkommen von Jacoba, die versteckten Juden spielen lassen. Das wirkte gestellt und komisch. Ein einziger Satz des Regisseurs nach dem Film auf die Kritik hin, erklärt so viel und hält das Kritische im Zaum: „Ich wäre ein glücklicher Mensch, wenn ich an der Schulter meines Vaters hätte weinen können.“ Was wollen wir eigentlich! Filme von Kindern von Juden die den Holocaust überlebt haben, sollte man nicht mit den Kriterien gut oder schlecht angehen. Joram ten Brink hat mit seinen Möglichkeiten gearbeitet. Auch diese Familie hat nur deshalb überlebt, weil sie von einem der im Zug ins Gas saß, gewarnt wurde. Dabei ist mir noch mal klar geworden, wie sehr durch Warnungen jüdisches Leben hätte gerettet werden können. Nur durch Warnungen.

Maria Neef-Uthoff

Debbie Goodstein: Voices From the Attic, Stimmen vom Dachboden, USA 1988, 60 Minuten.

14.2. Akademie der Künste, 17 Uhr.

Joram ten Brink: Jacoba, Niederlande 1988, 65 Min.

Zusammen mit „Voices from the Attic.

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