piwik no script img

Hakenkreuz und Friedenstaube

■ Zwei Bücher zur Geschichte des deutschen Pazifismus (Reinhold Lütgemeier-Davin/Wolfgang Benz)

Knapp sechs Jahre ist es her, daß ein Familienminister im Plenum des Deutsche Bundestages erklären konnte, „der Pazifismus der 30er Jahre“ habe „Auschwitz erst möglich gemacht“. Opfer erschienen plötzlich als Täter. Geißlers Geschichtsklitterung lenkte von der Tatsache ab, daß Pazifisten den Faschismus in vorderster Linie bekämpften.

Am Beispiel des heute nahezu unbekennten Pädagogen und Journalisten Hein Herbers (1895-1968) stellt Reinhold Lütgemeier-Davin das Engagement eines Pazifisten dar, der in den zwanziger Jahren zum Kampf gegen die Repräsentanten des preußisch-deutschen Militarismus angetreten war. Herbers, der 1915 noch als Freiwilliger nach dem gerade bestandenen „Notabitur“ ins Feld zog, bekannte sich nach dem Krieg zu einem radikalen Pazifismus. In verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen wie das 'Andere Deutschland‘ veröffentlichte er Artikel. In seinen Arbeiten demaskierte Herbers jene deutschen Machteliten, die mit heroischem Gestus das Schlachtengemetzel verklärten und unverhohlen einen Revanchekrieg propagandistisch vorbereiteten. Er wollte den Krieg entehren und stellt ihn als gräßliches Blutbad, als Triumph der Roheit dar. Damit wurde Herbers zum Außenseiter in einer Gesellschaft, in der eine „national zuverlässige Gesinnung“ Voraussetzung für eine ungetrübte Karriere war. Herbers unterstütze die „Greuelpropaganda“ „gegen das eigene Vaterland“ und betreibe „in der Presse wie in der Schule intensive Zersetzungsarbeit“, notierte 1929 die 'Berliner Börsen Zeitung‘: „Fort aus dem Amt mit Jugenderziehern, die sich als Verräter am Vaterlande, als Verbrecher an der Seele der deutschen Jugend erweisen!“ - Herbers Entlassung aus dem Schuldienst gehörte bereits vor 1933 zu den stehenden Forderungen seiner Feinde. Von seinen Kollegen konnte er kaum Unterstützung erwarten. Als seine Stellung am Gymnasium in Bad Ems unhaltbar geworden war, siedelte er 1931 nach Kassel über, wo er zunächst eine neue Anstellung fand. Die Anfeindungen gegen Herbers rissen nicht ab und erreichten 1932 ihren Höhepunkt: Wegen einer vermeintlichen Schmähung Hindenburgs inszenierten die reaktionäre Presse, „Vaterländische Verbände“ und auch die NSDAP einen Hetzfeldzug gegen Herbers. Kasseler Elterbeiräte beschwerten sich beim Berliner Kultusministerium darüber, daß der „verkorkste Studienassessor“ immer noch nicht suspendiert worden sei. Eine Beschäftigung als Pädagoge blieb Herbers fortan in Deutschland versagt. 1933 büßte er unwiderruflich seine Stelle als Lehrer ein. Herbers siedelt nach Holland über. Er arbeitete an der Privatschule des Quäkers Boeke und beteiligte sich von hier aus als Verfasser von illegal in Deutschland verbreiteten Flugschriften am antifaschistischen Widerstand.

Lütgemeier-Davin entwirft in seiner Arbeit über Hein Herbers nicht nur ein detailliertes Lebensbild, hinter dessen Präsentation eine mehrjährige, geradezu minutiöse Recherchearbeit steckt. Vielmehr gelingt es dem Autoren auch, einen lange Zeit vernachlässigten Aspekt der „Machtübergabe“ an Hitler zu erhellen. Im Medium seiner Biographie über Hein Herbers zeigt Lütgemeier-Davin, daß es nicht nur eine politische, ökonomische und soziale Vorbereitung des Nazionalsozialismus gab; ebenso gab es eine pädagogische Vorbereitung des „tausendjährigen Reiches“. An den Schulen hatten bereits vor 1933 präfaschistische und faschistische Ideen Hochkonjunktur. Nationalistische Schülerverbände, Lehrer und Eltern duldeten keine Lehrer wie Hein Herbers. Die ungewöhnlichen Reaktionen auf diesen „gewöhnlichen“ Republikaner vermitteln ein Bild von dem Zustand einer Gesellschaft, in der Auschwitz möglich wurde.

Eine weitere Neuerscheinung verweist darauf, daß die engagierten Frauen und Männer der alten deutschen Friedensbewegung seit jeher vor den Folgen jener Weltgeltungsträume warnten, die letztlich in der nationalsozialistischen „Volksraumpolitik“ mündeten. Die Dokumentensammlung „Pazifismus in Deutschland“ vereinigt Zeugnisse der deutschen Friedensbewegung aus den Jahren 1890 bis 1939, die durch die Herausgeberkommentare von Wolfgang Benz in ihren zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet werden. Nicht wenige der heute meist zu Unrecht vergessenen Persönlichkeiten, deren Texte hier abgedruckt wurden, waren bereits vor 1933 in Deutschland ihres Lebens nicht mehr sicher. Der ehemalige Offizier Hans Paasche wurde 1920 wegen seines Bekenntnisses zum Pazifismus von Reichswehrsoldaten ermordet. Der Medizin-Professor Georg Friedrich Nicolai ging bereits 1922 nach Lateinamerika ins Exil. An der Berliner Universität hatten nationalistische Studenten die Wiederaufnahme seiner Vorlesungen nach dem Krieg vereitelt. Benz Dokumentensammlung ist dazu geeignet, einen Überblick über die Friedensbewegung des Kaiserreiches und der Weimarer Republik zu vermitteln.

In den offiziellen, von Kultusministerien abgesegneten Schulbüchern lassen sich keine Hinweise auf eine historische Friedensbewegung in Deutschland finden. Mag sein, daß die eine oder andere zynisch-groteske Äußerung eines hochdotierten Politikers aus diesem Mangel herrührt. „Die Erinnerung an die Frauen und Männer des Widerstands gegen Hitlers Unrechtsstaat gehört zu Recht zu den konstituierenden Traditionen für die Bundesrepublik Deutschland“, schreibt Benz in seinem Dokumentenband. Auch wenn sich angesichts der Geschichtswenden über diese Einschätzung streiten läßt, ist der damit von Benz verbundene Wunsch allzu berechtigt: „Die historische Friedensbewegung, deren Leistungen wie die des Widerstands ausschließlich im Ideellen zu orten sind, hätte die gleiche Beachtung verdient.“

Rolf von Bockel

Reinhold Lütgemeier-Davin, Hakenkreuz und Friedenstaube Der Fall Hein Herbers (1895-1968), dipa-Verlag, 42 DM.

Wolfgang Benz (Hrsg.), Pazifismus in Deutschland - Dokumente zur Friedensbewegung 1890-1939, Fischer-Taschenbuch, 16,80 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen