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„Allah ist groß“, Fiktion ist mächtig!

■ Fünf Tote und zahlreiche Schwerverletzte beim Sturm auf US-Kulturzentrum in Pakistan Stein des Anstoßes: ein „blasphemischer“ Roman / Autor Salman Rushdie entsetzt

Islamabad (ap/taz) - Die Buchgläubigkeit muslemischer Fanatiker und der Eifer pakistanischer Polizisten haben wieder einmal ihren Tribut gefordert. Zu fünf Toten und Dutzenden Schwerverletzten kam es am Sonntag in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, als 2.000 religiöse Eiferer aus Protest gegen die US-Publikation von Salman Rushdies „Satanischen Versen“ das amerikanische Kulturzentrum stürmten. Wie Augenzeugen berichteten, schoß die Polizei auf die Menge, als einige Demonstranten in dem Gebäude Feuer legten und unter dem Jubel der übrigen Demonstranten die Flagge vom Dach des zweigeschossigen Hauses rissen. Nachdem die Polizei vergeblich versucht hatte, die Menge mit Tränengas auseinanderzutreiben, schoß sie scharf.

Unter dem Motto „Allah ist groß“ und „hängt Salman Rushdie“ warfen die Demonstranten mit Steinen auf die Polizisten. Zur Demonstration gegen die Veröffentlichung des nicht nur in islamischen Staaten umstrittenen preisgekrönten Romans aufgerufen hatten zwei pakistanische Parlamentsabgeordnete, die ebenfalls leichte Verletzungen davontrugen. Auch in Indien steht das Buch als „blasphemisch“ auf dem Index und in der britischen Stadt Bradford gingen bei einer Protestveranstaltung Hunderte von Exemplaren in Flammen auf.

Vergangene Woche hatte das pakistanische Parlament das Buch als Lästerung gegen den Propheten verurteilt. Die Gegner forderten darüber hinaus das Verbot aller Publikationen des britischen Verlags „Penguin“. Die Regierung von Benazir Bhutto schloß sich dieser Verurteilung an, denn auch die junge PPP-Regierung rüttelt nicht an den identitätsstiftenden Grundfesten des islamischen Staates. Gotteslästerung käme hier einer Staatsbeleidigung gleich. Damit hielt Salman Rushdie bereits in seinem früheren Roman „Scham und Schande“ (1985) nicht zurück. „Diese Leute können Geschichte nicht von Fiktion unter scheiden. Sie wissen nicht einmal, wogegen sie de monstrieren, denn was hat Rushdies Roman mit dem US -Kulturzentrum zu tun? Diese fanatischen Ausschreitungen beschämen uns, obwohl wir die Ehre des Propheten selbstverständlich respektieren“, entschuldigt sich der pakistanische Literaturwissenschaftler Professor Fateh M.Malik gegenüber der taz.

Wo immer man in Pakistan auch ein Exemplar von Rushdies verbotenen Büchern findet, selten wird man auf einen beherzten Liebhaber treffen. Mit dem kurzen Urduwort „Scharam“, dessen enzyklopädischer Bedeutungsreichtum mit „Scham und Schande“ noch viel zu kurz gefaßt ist, lieferte Rushdie im gleichnamigen Roman ein Schlüsselwort zur pakistanischen Gesellschaft. Mit Gespür für die zentralen Elemente der politischen Kultur des Landes hob er ab auf Themen der Erbschuld, Familienehre und die Reputation beliebter, weil unverschämter Politiker wie Ali Bhutto oder die unheiligen Motive der Verschämtheit Zia-ul-Haqs. Auch Benazir Bhutto, die erste Premierministerin eines islamischen Staates, kommt als „Jungfrau mit den Eisenhosen, die ihrem Vater eine an Götzendienst grenzende Verehrung zollt“, nicht gut davon.

Dennoch streitet und stritt Salman Rushdie bisher vehement ab, realistische Romane zu schreiben. „Stellen Sie sich vor, was ich dann alles noch berücksichtigen müßte ... Müßte ich dann auch die spitzfindige Logik der Industrie analysieren, die Kernreaktoren baut, aber keinen Kühlschrank herstellen kann? ...“ Auch sein neues Buch wird nicht als das begriffen, was es ist. „Die Leute reden über ein Buch, das nicht existiert“, sagte Rushdie am Sonntag gegenüber der britischen Tageszeitung 'The Guardian‘. „Ein Buch, das es wert wäre, Menschen zu töten oder gar Flaggen zu verbrennen, ist nicht das Buch, das ich geschrieben habe.“

Fiktion oder Realität, die Zusammenstöße zogen unterdessen politische Kreise. Die pakistanische Polizei hat gestern einen Schutzwall um das amerikanische Kulturzentrum gezogen.

sl

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