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SPD rutscht in Libyen-Affaire

Kanzleramtsminister Schäuble berichtet, daß der BND erstmals 1980 über libysche Chemiefabrik informierte / SPD reagiert gelassen auf Verdacht / Außenminister Genscher erneut im Zwielicht  ■  Aus Bonn Ch. Wiedemann

Das Rätselraten, wer wann was über die Chemie-Fabrik in Libyen gewußt hat, erstreckt sich nun auch auf die sozial -liberale Regierungsära. Wie aus einem Bericht von Kanzleramtsminister Schäuble, der heute im Kabinett beraten wird, vorab bekannt wurde, kamen erste Informationen bereits 1980 vom Bundesnachrichtendienst (BND).

Am 22.April 1980, so vermerkt Schäubles Bericht laut 'dpa‘, habe der BND gemeldet, daß Libyen mit Hilfe nicht genannter ost- und westdeutscher Firmen eine Anlage zur Herstellung von Kampfstoffen sowie ein System für deren Ausbringung entwickeln wolle. Eine „bewußte Beteiligung“ deutscher Firmen sei damals ausgeschlossen worden.

Allerdings habe der BND in den folgenden Jahren fortlaufend Hinweise an verschiedene Ministerien gegeben - was wenig Sinn machen würde, ohne den Verdacht auf eine westdeutsche Beteiligung. 1981 meldete der BND, Libyen wolle die benötigten Chemikalien in Westeuropa kaufen. 1985 sollen bereits 100 Tonnen Natriumfluorid von Seebrügge aus nach Libyen verschifft worden sein.

Offiziell reagierten die Bonner Sozialdemokraten gestern gelassen auf die Tatsache, nun selbst in das Schwarze-Peter -Spiel einbezogen zu werden. Zur Zeit der ersten BND-Meldung 1980 war Manfred Schüler als beamteter Staatssekretär im Kanzleramt für die Geheimdienste zuständig. Schüler, heute im Vorstand der Kreditanstalt für Wiederaufbau, weilte gestern im Urlaub. Der SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, 1982 als Staatsminister im Kanzleramt, bemühte sich hinter den Kulissen, sozialdemokratische Mitwisser der Libyen-Affäre ausfindig zu machen. Er selbst habe „nie etwas davon gehört“.

Nachdem nun zum vierten Mal der Zeitpunkt erster BND -Informationen rückdatiert wurde, rückt auch die Rolle von Außenminister Genscher erneut ins Blickfeld: Die Akte Libyen kann kaum acht Jahre an ihm vorbeigegangen sein.

Überraschend wurde das Thema Libyen von der Tagesordnung des heutigen Auswärtigen Ausschusses nach Absprache zwischen CDU, FDP und SPD abgesetzt, obwohl für diese Sitzung die Antworten der Bundesregierung auf einen umfangreichen Fragenkatalog der SPD fällig waren.

Die Grünen vermuteten hinter der Kungelei gestern, daß die SPD angesichts der neuen Informationslage möglicherweise „Zeit schinden“ wolle. Offiziell wurde die Streichung des Top-Themas mit einer Formalie begründet: Das Bundestags -Plenum habe einen Libyen-Bericht der Bundesregierung gefordert; darum solle über den 100 Seiten starken Schäuble -Bericht nicht vor der Bundestagsdebatte am Freitag parlamentarisch beraten werden.

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