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Der Maghreb der 60 Millionen

Heute: Gipfeltreffen der Staatschefs strebt wirtschaftliches und politisches Bündnis an  ■  Von Walter Saller

Berlin (taz) - Die Bilder sprechen für sich: Ein lächelnder algerischer Präsident schüttelt einem hochzufriedenen marokkanischen König die Hand. Doch nicht die Geste an sich ist so bemerkenswert, sondern der Ort, an dem sie stattfand. Denn Anfang Februar dieses Jahres war mit Schadli Bendschedid zum ersten Mal seit 1972 wieder ein algerisches Staatsoberhaupt als willkommener Gast in Marokko. Der Besuch Schadlis in Hassans Reich war aber nur ein Meilenstein auf einem Weg, der die fünf westlich von Ägypten gelegenen Maghrebstaaten Libyen, Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien einander deutlich nähergebracht hat.

Vorläufiger Höhepunkt dieser erfolgreichen Annäherung ist die Gipfelkonferenz, zu der sich am heutigen Donnertag die fünf Regierungschefs in der südmarokkanischen Königsstadt Marrakesch zusammengefunden haben. Die Staatsoberhäupter haben mit diesem Treffen Großes im Sinn; denn sie wollen nicht nur die Bedingungen für eine engere politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit festlegen, sondern auch den Rahmen für einen föderierten „Großen Maghreb“ abstecken.

Freilich, nicht zum ersten Mal träumt man im Westen Nordafrikas den Traum vom „Grand Maghreb“. Doch nie zuvor waren die Grundvoraussetzungen für dieses ehrgeizige Vorhaben so günstig. Im Mai 1987 nahmen Marokko und Algerien nach saudischer Vermittlung ihre 1976 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder auf. Zum offiziellen Bruch war es damals wegen der von Marokko annektierten Westsahara gekommen. Algerien erkannte die Annexion nie ab und unterstützte die Polisario, die für eine Unabhängigkeit des phosphatreichen Wüstenstreifens kämpfte. Heute bezichtigt man in Algerien Marokko nicht länger der „Besetzung“, sondern spricht vom „Bruderkrieg“, der einer „gerechten und endgültigen Lösung“ bedarf. Im Gegenzug hat Hassan die Bedingungen der UNO akzeptiert und die Polisario als Verhandlungspartner anerkannt. Die diplomatische Beendigung dieses nie erklärten Krieges ist damit möglich geworden und ein Haupthindernis auf dem Weg zur maghrebinischen Einheit beseitigt.

Nicht zuletzt die blutige Nase, die er sich im Tschad einhandelte, macht Gaddafi heute die Politik der kleinen Schritte schmackhafter. Nach ebenso zahlreichen wie vergeblichen Fusionsversuchen mit arabischen und nordafrikanischen Staaten scheint er sich von Nassers panarabischer Vision einer Einigung aller Araber „vom Golf bis zum Atlantik“ verabschiedet und den kleinen Bruder der gesamtarabischen „wahda“, den „Grand Maghreb“ akzeptiert zu haben. Der erste Schritt in Richtung auf einen föderierten Maghreb war von libyscher Seite aus die im Februar 1988 erfolgte Normalisierung der Beziehungen zu Tunesien, die seit 1985 durch den Rausschmiß von 32.000 tunesischen Gastarbeitern schwer belastet waren.

Auch Algerien und Tunesien haben ihr Verhältnis derweil noch verbessert. Vergessen sind die Ereignisse vom Januar 1980, als man in Tunis Algier für den Überfall auf das tunesische Grenzstädtchen Gafsas verantwortlich gemacht hatte. Als im November 1987 der greise Burgiba per Attest in den Ruhestand versetzt wurde, war Schadli der erste Regierungschef, der vom Wechsel in der tunesischen Führung unterrichtet wurde.

Doch mehr noch als brüderliche Neigungen ließen blanke Notwendigkeiten die Maghrebstaaten zusammenrücken. Die drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen und stetige Unmutsäußerungen in der Bevölkerung ließen die Einsicht reifen, daß der Maghreb zur Verbesserung der Lage einen der EG vergleichbaren Wirtschaftsraum braucht. Denn gegenwärtig wickeln die fünf Staaten nur einen mimimalen Anteil ihres Handels untereinander, den Löwenanteil aber mit Europa ab (Marokko 50, Algerien 60, Tunesien sogar 75 Prozent). Eine ebenso einseitige wie gefährliche Abhängigkeit, die den Nordafrikanern spätestens seit dem EG -Beitritt der klassischen Konkurrenten Spanien und Portugal doppelt schwer im Magen liegt.

Man hat allen Grund, sich nun in Marrakesch zu treffen, um die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Maghreb der 60 Millionen Menschen zu schaffen. Denn mit dem Fallen der EG -Binnenschranken Anfang der neunziger Jahre dürften ansonsten die Schwierigkeiten und damit die Konkurrenz unter den Staaten zunehmen.

Doch der Weg zu einem „Großen Maghreb“ ist noch weit. Und an die Aufgabe von Souveränitätsrechten ist ohnehin von keiner Seite gedacht. In allzu naher Zukunft ist daher kaum zu erwarten, daß der schon heute in orientalischer Großzügigkeit „Trans-Maghreb-Express“ genannte Zug zwischen Tunis und Algier tatsächlich von Tripolis nach Rabat fährt.

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