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Schlammschlacht gegen Rot-Grün

Briefwechsel, III. Folge (gekürzt) / Heiner Geißler an Hans-Jochen Vogel und eine Antwort der SPD-Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs  ■ D O K U M E N T A T I O N

Sehr geehrter Herr Vogel,

in Berlin werden derzeit wichtige Entscheidungen darüber getroffen, welchen Weg die Sozialdemokratische Partei Deutschlands künftig gehen wird. Angesichts der exponierten Lage der Stadt sowie der nationalen und internationalen Bedeutung Berlins sind die dort anstehenden Entscheidungen mehr als ein kommunales oder rein landespolitisches Ereignis. Deswegen tragen Sie als Bundesvorsitzender der SPD auch eine besondere Verantwortung, zumal Sie als früherer Regierender Bürgermeister und als Berliner Bundestagsabgeordneter der Stadt und ihren Bürgern in besonderer Weise verbunden sind.

Was jetzt in Berlin geschieht, müßte für Sie eigentlich Anlaß zu größter Besorgnis sein. Der Spitzenkandidat Ihrer Partei, Herr Momper, hat vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus eindeutig erklärt, daß für ihn eine Zusammenarbeit mit der linksradikalen AL nach der Wahl nicht in Frage käme. Inzwischen verhandelt die SPD mit der AL über die Bildung einer Regierungskoalition. Es wäre Wortbruch und Wählertäuschung, wenn Vertreter der linksradikalen AL mit Hilfe der SPD die Regierungsverantwortung übernähmen.

Wenn die SPD der AL die Regierungsbeteiligung ermöglichte, handelte sie verantwortungslos, weil die AL - Gewalt befürwortet und durch radikalen Abbau der Polizei, die Abschaffung des Verfassungsschutzes und die Verharmlosung von Gewalt die innere Sicherheit und Ordnung von Berlin beseitig; - durch ihre Forderung nach Einführung des Rätesystems in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung, nach Einschränkung der Berlin-Förderung und nach unbezahlbaren Sozialleistungen die Wirtschat ruiniert und die Staatspleite herbeiführt; - durch den von ihr geforderten Rausschmiß der Alliierten die äußere Sicherheit Berlins vom Wohlwollen der Erbauer der Berliner Mauer abhängig macht.

Es ist Aufgabe aller demokratischen Kräfte, links- wie rechtsradikale Strömungen und Gruppierungen entschlossen zu bekämpfen und zu verhindern, daß die demokratischen Parteien von den Rändern her in die Zange genommen werden.

Als Vorsitzender einer traditionsreichen demokratischen Partei ist es daher Ihre Pflicht zu vehindern, daß linksradikale Politiker mit Hilfe der SPD in Regierungsämter gelangen. Ich fordere Sie nachdrücklich dazu auf, Ihrer Verantwortung als Parteivorsitzender gerecht zu werden und sich der Bildung einer rot-grünen Koalition in Berlin entgegenzusetzen. Geben Sie Ihre öffentliche Zurückhaltung in dieser Frage auf!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Heiner Geißler MdB

Sehr geehrter Herr Geißler,

Herr Dr. Vogel hat mich gebeten, den Eingang Ihres Schreibens vom 16. Feburar 1989 zu bestätigen und zu beantworten.

Zunächst einmal: Es trifft zu, daß Herr Dr. Vogel als ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin und als Berliner Bundestagsabgeordneter mit den Problemen dieser Stadt vertraut und ihren Bürgerinnen und Bürgern in besonderer Weise verbunden ist. Ebenso richtig ist, daß Berlin national und international eine herausragende Bedeutung zukommt. Die Ost-, Deutschland- und Berlin-Politik der SPD war und ist deshalb so erfolgreich, weil sie sich dieser Bedeutung stets bewußt war. Die gegenwärtige Situation in Berlin ist seit Montag dieser Woche dadurch gekennzeichnet, daß Herr Diepgen in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender der Berliner CDU die Fortsetzung der auf Initiative der Berliner SPD eingeleiteten Gespräche zwischen den beiden Parteien abgebrochen hat und ihre Wiederaufnahme trotz einer entspechenden Einladung von Herrn Momper verweigert. Es befremdet in hohem Maße, daß ausgerechnet der Generalsekretär der Partei, die das Gespäch an Ort und Stelle beendet hat, nunmehr den Bundesvorsitzenden der anderen Partei auffordert, die Initiative auf Wiederingangsetzung des Dialogs zu ergreifen. Dessen ungeachtet stelle ich ausdrücklich fest: Herr Momper ist unverändert gesprächsbereit. Falls es zur Korrektur der Haltung von Herrn Diepgen - und Ihre Formulierungen legen das nahe - eines persönlichen Appells von Herrn Dr. Vogel an Herrn Diepgen bedarf, übermittle ich Ihnen diesen hiermit.

Die Vorwürfe, die Sie in Ihrem Schreiben gegen Herrn Momper erheben, weise ich mit Nachdruck zurück. Herr Momper hat sich bei seinen Aussagen in bezug auf die AL stets auf die drei sogenannten Essentials, nämlich das Gewaltmonopol des Staates, die Übernahme der Bundesgesetze durch das Abgeordnetenhaus und die Anwesenheit der Alliierten in Berlin aufgrund des besonders Status‘ dieser Stadt, konzentriert. Die gegenwärtig stattfindenden Gespräche werden zeigen, ob die insoweit aufgrund früherer Stellungnahmen der AL bestehenden Bedenken aufgeräumt und die für die innere und äußere Sicherheit der Stadt unerläßlichen Vorbedingungen als gegeben erachet werden können. Sie dürfen überzeugt sein, daß Herr Momper und die Berliner SPD dabei zum Wohle der Stadt mit dem von Ihnen zu Recht konstatierten traditionellen Verantwortungsbewußtsein und großer Sorgfalt vorgehen werden.

Der polemische Grundton Ihres Briefes legt allerdings die Vermutung nahe, daß es Ihnen nicht um den Versuch geht, auf die bestehende Situation einen sachlichen Einfluß zu nehmen, sondern daß Sie auf diese Weise von Ihren vielfältigen Schwierigkeiten ablenken wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Anke Fuchs

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