Momper, der gute Junge der SPD

Weder „Liebling-SPD“ noch Karrierist, ein Realpolitiker, der auf Distanz geht, sachkompetent und ideologisch nicht festgelegt, einer, der fast immer einen kühlen Kopf bewahrt und mit politischen Utopien nichts im Sinn hat: Walter Momper, Berliner SPD-Chef und Regierender Bürgermeister in spe / Ein Porträt  ■  Von Jürgen Gottschlich

Im Saal brodelt es. Dichtes Gedränge. Stimmengewirr, Begrüßungsgespräche. Die Berliner SPD ist wieder einmal mit sich selbst beschäftigt. Fast beiläufig wird registriert, daß der „Sieger“ aus den Kulissen zum Rednerpult tritt, die Gespräche, von kurzem Beifall unterbrochen, laufen erst einmal weiter. Der Redner hat bereits drei Manuskriptseiten hinter sich, bis sich die allgemeine Aufmerksamkeit tatsächlich auf ihn konzentriert. Walter Momper, Berlins Regierender Bürgermeister in spe, tut sich selbst vor den eigenen Genossen schwer. Mit kaum modulierter Stimme, eng an das fertige Redemanuskript gelehnt, trichtert er den Funktionären der Partei in einem sogenannten Feldgottesdienst die Linie für die kommenden Wochen ein. Doch was er sagt, ist den Anwesenden kaum etwas Neues. Eineinhalb Wochen nach dem für alle völlig überraschenden Wahlausgang ist die Message Walter Mompers an seine Partei noch immer die gleiche wie in der Wahlnacht: Wir müssen einen kühlen Kopf behalten, keine Emotionen, Disziplin, Genossen und noch einmal Disziplin.

Es gibt überhaupt nur einen Auftritt nach der Wahl, bei dem Pragmatiker Walter Momper die Contenance verlor. Ausgerechnet CDU-Generalsekretär Rüdiger Landowsky wurde ihm in der ARD-Sendung „Brennpunkt“ an die Seite gesetzt, in der SFB-Chefredakteur Jürgen Engert offenbar die Weichen für eine große Koalition stellen wollte. Als Landowsky mit der historischen Verpflichtung der Arbeiterbewegung begann, hielt Momper nicht länger an sich. „Ausgerechnet von Ihnen“, herrschte er die Berliner Geißler-Ausgabe an, „braucht sich die SPD zuallerletzt belehren lassen.“ Der Ausbruch ist mehr als verständlich, ist eigentlich eher das mindeste, um den Menschen hinter der nüchternen Politikerpose noch erkennen zu können.

Und es war auch vor allem Landowsky, der stellvertretend für die CDU-Führungsriege immer wieder und genüßlich in Mompers offener Wunde bohrte, die da heißt: Wer ist eigentlich Walter Momper? Daß er dabei die Lacher auf seiner Seite hatte, trug nicht gerade dazu bei, die Wunde zu schließen. Besonders schmerzlich für Momper: Selbst seine eigene Partei verhielt sich gegenüber ihrem Spitzengenossen höchst indifferent. So richtig an ihn glauben mochten die wenigsten. „Die Messer waren vor der Wahl längst gewetzt“, weiß ein Momper-Vertrauter. „Bei einem Ergebnis unter 35 Prozent hätte der Walter sofort dran glauben müssen.“

„Unheimlich durchhalte

und lernfähig“

Daß Momper nicht der Liebling der Partei ist, wird auch an seinem Aufstieg deutlich. Mompers Politkarriere verlief exakt parallel zum Abstieg der Partei. Seine Kritiker bringen den Aufstieg deshalb auf eine einfache Formel: Er wurde immer dann was, wenn niemand anderer mehr wollte. Selbst wohlmeinende SPDler gebrauchen im Gespräch so verräterische Formen wie: „Walter stieß eben in ein Machtvakuum.“ Warum das zweifellos in der SPD vorhandene Vakuum im positiven Sinne jeweils durch Momper gefüllt wurde, wissen indes die wenigsten zu sagen. Er sei unheimlich durchhalte- und lernfähig zum einen, ideologisch nicht so festgelegt zum anderen, wird seine Attraktivität für die Partei beschrieben. Momper selbst sieht sich als einen Mann, der in der Partei „immer gegen den Strom geschwommen ist“. Schließlich kommt er aus der SPD Kreuzberg und in Kreuzberg gingen die Uhren schon immer etwas anders.

Zusammen mit dem heutigen SPD-Bundestagsabgeordneten Gerd Wartenberg und dem jetzigen Mitarbeiter in der Bonner Parteizentrale Peter Wordin machte er erstmals als Kreuzberger Juso-Vorsitzener Furore. Als „unerbittliche politische Puristen“ setzten sie in Kreuzberg noch aus der Juso-Position heraus die Trennung von Amt- und Parteijob durch. Erst als sie verdiente SPD-Funktionäre aus ihren Wohnungen im sozialen Wohnungsbau vertreiben wollten, bissen sie innerparteilich auf Granit. Die Wende bei den „Vertretern der reinen Lehre“ machen Kreuzberger Polit -Kenner 1979 fest. Mit einer Kampagne für ein kommunales Wahlrecht für Ausländer erlitt die Gruppe um Walter Momper bei den Wahlen in Kreuzberg eine schwere Schlappe und, was noch viel schlimmer war, erstmals zog die AL in die Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung ein.

Diese Erfahrung blieb nicht ohne Spuren. Obwohl Momper jetzt damit kokettiert, er habe schließlich 1980, als Kreisvorsitzender in Kreuzberg mit den Alternativen - Arm in Arm mit dem AL-Baustadtrat Orlowsky - bundesweit die erste Koalition begründet, kann er es bis heute nicht verwinden, daß ausgerechnet „diese Dilettanten“ seiner Partei bei jeder Wahl aufs neue mehr Stimmen wegschnappten. „Seit damals hat der eine AL-Macke“, meinen Kommunalpolitiker aus dem Bezirk. Obwohl bis 1985 Kreisvorsitzender, seien die Kontakte der AL in Kreuzberg immer über andere SPD-Politiker gelaufen. Nach der Wahl 1985 vergatterte Momper seinen Kreisverband dann so sehr auf einen Konfrontationskurs gegen die AL, daß diese schließlich nach einer monatelangen Hängepartie die Stadtratsposten mit der CDU ausmauschelte.

Bis heute hat Momper seine Probleme mit der angeblichen Amateurhaftigkeit von AL-PolitikerInnen nicht ganz verwunden. „Man kann doch nicht milliardenschwere Forderungen nach einer Veränderung der Berlin-Förderung und die Abschaffung von ein paar Dienstwagen gleichrangig nebeneinanderstellen“, ereiferte er sich über den Verhandlungsstil der Alternativen. „Da ist doch viel Show dabei.“ Politclowns kann Walter Momper nun mal nicht ab. Exkommunarde Dieter Kunzelmann, für die AL zwei Jahre im Abgeordnetenhaus, reizte ihn mit seinen gekonnten Auftritten derart, daß er lautstark „Kunzelmann raus“ forderte. Politik, so das Credo Mompers, ist schließlich kein Happening, sondern harte Arbeit.

Sachkompetent

und pragmatisch

Daß Momper ein harter Arbeiter ist, wird allgemein anerkannt. Politik ist in diesem Sinne zuallererst einmal der Erwerb von Sachkenntnissen. Momper war für die SPD Umweltsprecher, er saß lange im Haushaltsausschuß und vertrat seine Partei im Hauptausschuß. „Wir haben ihn 1985 zum Fraktionsvorsitzenden gewählt“, erinnert sich ein Fraktionsmitglied, „weil er die meiste Sachkompetenz besaß. Der hatte ja schon alles fast einmal gemacht.“ Als es im November 1986 dann um den Parteivorsitz ging, war bei den Sozialdemokraten in Berlin außer Sachkompetenz noch eine andere Qualität gefragt. Die Partei war praktisch pleite und mußte dringend saniert werden. Momper hat dies auch „mit der notwendigen Brutalität“, wie ein Kreuzberger Weggefährte durchaus anerkennend anmerkt, durchgesetzt. „Das war emotional viel schwieriger als die Situation vor der Wahl“, beschreibt Momper selbst seinen damaligen Parteiauftrag. „Hauptamtliche Mitarbeiter mußten gekündigt werden, um sie unter Tarif wieder einzustellen. Welcher Sozialdemokrat macht das schon gerne?“ Daß Momper dafür der richtige Mann war, wußten Kreuzberger Genossen aus eigener Erfahrung. „Unerbittlich“, so der kommende Kreuzberger Bürgermeister König, „hat der das Geld, welches Mandatsträger an die Partei abführen sollen, eingetrieben.“ „Man kann nicht Parteimitglied zum Nulltarif sein“, lautete Mompers damaliger Wahlspruch.

Freunde macht man sich mit dieser Haltung nicht unbedingt, und es gibt in der Partei auch nur wenige Leute, die sich als seine Freunde im eigentlichen, über die Arbeit hinausgehenden Sinne bezeichnen. Momper hält in der Partei aber auch seinerseits auf Distanz. Zu Hause ist Momper in einer 4-Zimmer-Wohnung in Kreuzberg. „Wir fühlen uns in Kreuzberg wohl“, verriet seine Frau Annegret im letzten Jahr der 'Bild'-Zeitung, und ihr Mann beteuert auch heute, nach dem Wahlsieg, die Familie werde in Kreuzberg wohnen bleiben. Für die beiden schulpflichtigen Töchter sei es auch wichtig, daß sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Gerade wenn der Vater so viel unterwegs ist.

Momper, von Haus aus Diplompolitologe, ist im bürgerlichen Beruf Geschäftsführer der „Historischen Kommission“, eine der FU angegliederte Forschungsgemeinschaft. Sein Spezialgebiet ist natürlich die Geschichte der Arbeiterbewegung. Auch auf diesem Gebiet wird seine Sachkompetenz gerühmt, ohne daß die bislang einen publizistischen Niederschlag gefunden hätte. Hier liegt ein weiterer wunder Punkt des Walter Momper. Sachkompetenz, solide Arbeit: ja. Zukunftsentwürfe, Utopien einer anderen Stadt: nein. Nicht zufällig tauchte in Berlin immer wieder der Name Peter Glotz auf. Der kurzfristige Landesvorsitzende Anfang der achtziger Jahre war nach seiner Zeit als Bundesgeschäftsführer offenbar drauf und dran, wieder nach Berlin zu gehen und damit der Angstgegner Walter Mompers zu werden. Noch im September 1987 lancierte Springers 'Morgenpost‘ das Gerücht, Glotz sei in der Stadt und sondiere seine Chancen. Momper reagierte deutlich gereizt und erklärte, das „sei so absurd, daß man darüber nur lachen kann“. Trotzdem hatte er für das Gerücht eine plausible Erklärung: „Einige intellektuelle Kreise der Stadt finden Glotz schöner als mich.“

Ein Modernisierer,

den Dogmen nerven

Intellektuelle Paradiesvögel sind nicht Walter Mompers Sache. Auf einer Basisversammlung der Kreuzberger SPD im Herbst letzten Jahres ließ er seinem Ärger über diese Spezies freien Lauf: Die sogenannte linke Intelligenz hänge längst an den Subventionstöpfen der CDU-Kulturpolitik und habe sich leicht korrumpieren lassen. Eine von SPD-Linken eingerichtete Gruppe, die vor der Wahl über Perspektiven für Berlin im Jahre 2000 diskutierte, wurde dann auch von Momper konsequent links liegengelassen.

Fühlt er sich denn nun dem Job des Regierenden Bürgermeisters gewachsen? Er habe diese Frage natürlich selbst auch häufiger gestellt, bekennt Momper, aber er leide nicht unter Mangel an Selbstvertrauen. Und das ist seit dem Wahlabend natürlich gewachsen. Offenkundig genießt er erst einmal, daß in Berlin zur Zeit ohne ihn nichts geht und die Medien vor der Tür des Noch-Oppositionschefs statt vor der seines Rivalen Diepgen Schlange stehen. Obgleich seine Auftritte als Möchtegern-Staatsmann nach Ansicht der noch amtierenden AL-Fraktion eher mißglückte Diepgen-Kopien waren, traut man ihm neuerdings zu, in die Rolle des Regierenden hineinzuwachsen. Wer war schließlich Diepgen, als der die Weizsäcker-Nachfolge antrat?

Nur, für welche Politik steht Walter Momper? Für die, die machbar ist natürlich. Momper rechnet sich selbst zu den sogenannten Modernisierern in der SPD, rechte wie linke Parteidogmen gingen ihm auf die Nerven. Exemplarisch dafür war die im April letzten Jahres überaus heftig geführte Debatte mit dem Berliner DGB-Chef Michael Pagels. Nachdem Momper deutlich gemacht hatte, er könne sich mit den von Lafontaine vorgetragenen Thesen zur Solidarität der Arbeitnehmer untereinander durchaus anfreunden, fiel Pagels mit einer bemerkenswert rüden Attacke über ihn her: Dieser Mann sei „für Arbeitnehmer nicht wählbar“, verkündete der DGB-Chef und überzog damit derart, daß Momper in der Partei den Rücken frei hatte. Die Hegemonie der Gewerkschaften über die Arbeits- und Sozialpolitik der SPD war längst ein Anachronismus, heißt es dazu in Parteikreisen heute. „Diesen Konflikt hat der Walter richtig genossen“, meint ein Vertrauter des Landesvorsitzenden. „Damit hatte Pagels sich als möglicher Konkurrent selbst desavouiert.“

Ein Aspekt der Auseinandersetzung für Momper war auch, daß Politik nicht nur über Institutionen vermittelt werden darf. Für ihn ist das Geheimnis seines Erfolgs, daß die SPD wieder den Kontakt zum Bürger gefunden hat. Kampagnefähigkeit, heißt das Stichwort, und außerdem hat Momper auch schon mal laut über die Einführung von Volksentscheiden nachgedacht. Aus dem Kontakt mit dem Bürger ergeben sich auch die drei zentralen Aufgaben der „Neuen Politik“ des Walter Momper: Wohnungsbau, Zurückdrehen der sogenannten Gesundheitsreform und Kampf der Arbeitslosigkeit. Wer diese Stichworte so neu nicht findet, bekommt auch den Appendix noch zu hören: Ökologie in der Stadt, Gleichstellung der Geschlechter, eine neue Ausländerpolitik.

Eine andere Frage, über die zur Zeit in der Stadt viel gemunkelt wird, läßt Momper ganz cool: Ob die Alliierten eine rot-grüne Koalition überhaupt akzeptieren würden? „Ach wissen Sie, da machen sich doch vor allem die Linken häufig ein ganz falsches Bild von der Rolle und den Interessen der Alliierten.“ Ein Bereich, für den die Alliierten sich ganz sicher intensiver interessieren werden, ist die künftige Politik der inneren Sicherheit. Die gehörte bislang noch nicht zu den von Momper beackerten Sachgebieten, aber „damit habe ich mich in den letzten Monaten ja beschäftigen müssen. Die Alliierten waren auch nicht zufrieden mit dem, was da beim Berliner Verfassungsschutz läuft.“

Für sein Verständnis des staatlichen Gewaltmonopols, dessen Anerkennung von der AL nun so dringend gefordert wird, hält er für den taz-Journalisten eine Geschichte aus dem Berliner Häuserkampf bereit. Damals, 1981, wurde das Kreuzberger SPD -Büro von „umherschweifenden Rebellen“ besetzt und die anwesenden Mitarbeiter gleich mitverbarrikadiert. Eine Woche lang habe man diese Besetzung praktisch ausgesessen, ohne die Polizei einzuschalten. Denn „das Anliegen war ja verständlich“. Doch Momper kennt auch die Anliegen der kleinen Polizeibeamten. Die werden von einer Führung wie sie erst Lummer und dann Kewenig repräsentierte verheizt. Der Unmut innerhalb der Polizei sei deshalb auch verständlich. Die Lösung ist, man ahnt es schon, eine brauchbare sozialdemokratische Polizeiführung.

„Momper“, so resümierte ein bekannter Kreuzberger Stadtplaner seine Erfahrungen mit dem zukünftigen Regierenden, „ist der Beweis, daß die SPD immer die SPD bleiben wird.“