: HeimatschriftstellerInnen
■ Arrangiertes Zusammentreffen von zweien, die im Bruch mit ihren deutschen Heimaten Sprache gewinnen
Daß die beiden (Bremer FörderpreisträgerInnen) sich hier auf der Seite treffen, ist Zufall: Von Herta Müller gibt es noch ein (ungedrucktes) Interview aus den Tagen ihrer letzten Lesung in Vegesack während der literarischen Woche. Von Norbert Gstrein gibt es noch die (ungedruckte) Dankesrede bei der Preisverleihung. Sie soll Ihnen, sofern Sie noch oder, kaum das der Preisrummel vorbei ist, schon wieder keines haben, ein Interesse beleben, sein Buch zu lesen.
Das Zusammentreffen paßt aber ganz gut, zeigt Gemeinsamkeiten. Beide AutorInnen kommen aus ländlichen Nischen, aus weniger oder mehr isolierten Inseln des deutschen Sprachraums. Für beide ist der Einbruch der Weltgeschichte in diese Nischen auch Thema, für Herta Müller das der faschistischen und der Ceaucesou-Diktatur, für Norbert Gestrein das Einbrechen des bergeversetzenden Ski -Tourismus aus „den Ruhrgebieten“ in ein Tiroler Dorf.
Beide entwickeln ihreliterarische Form aus dem Bruch mit der Sprache dieser „ungleichzeitigen“ Nischen. Das Deutsch der Banater Schwaben beschreibt Marlies Janz als „durchtränkt vom Nazi-Jargon, von deutschtümelnder Borniertheit und dumpfer Lust an der Gewalt.“ Herta Müller entwickelt daraus und dagegen eine Sprache, für die die Perspektive kennzeichnend ist, aus der Welt und Menschen gesehen werden: ganz genau, ganz aus der Nähe mit klirrender Distanz, so als gäbe es keine Verbindung zwischen Erzählerin und ihren Objekten. Da wird durch Sprache ein Abstand hergestellt, der jede Familiarität erfrieren läßt, aber eine eigene Identität, eine literarische und politische, erst möglich gemacht hat.
Es ist der gleiche sprach-und identitätsbildende Vorgang, den Norbert Gstrein für sich beschrieb: „wie ich im Familienspiel die Rolle aufgab; wie ich nicht mehr schaute, ob einer an der Wahrheit litt.“ Gstrein entwickelte daraus allerdings eine völlig andere Sprache. Herta Müller beschreibt den unsichtbaren Alptraum zwischen den Menschen, den sie fühlt, als äußere Faktizität, so dinglich und lakonisch, wie das Handtuch am Haken. Norbert Gstreins Sätze umkreisen aus vielen Mündern den Jakob, der an der Sprachlosigkeit seines Dorfes kaputtgeht. Auch genau, aber das eigentlich Alptraumhafte wird nie gesagt, bleibt Geheimnis. Die Chance, es zu sagen, verpaßt worden und ist nicht mehr nachzuholen ist. Herta Müller malt das Schreckliche in Hof und Stube hinein, Norbert Gstrein umkreist es enger und weiter, füllt den Raum drumrum mit Stimmen, aber spricht es nie aus, zeigt nur den weißen Fleck in der Person, die es zerstört hat.
Uta Stolle
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