piwik no script img

Hautnah mit Momper reden

■ Walter Momper geht auf die Straße / Vertrauenswerbung per Postkarte / Herbe Kritik an einer rot-grünen Koalition in Neukölln

Der Mann mit dem blauen Mantel und dem roten Schal auf der Bühne wirkt strahlend wie das Wetter und wie sein Konterfei auf der Postkarte, die Helferinnen unters Volk bringen. Das ist zahlreich gekommen, um „dem Walter Momper mal die Meinung zu sagen“, wie eine resolute Dame um die 70 erklärt. Das gleiche Anliegen trieb wohl auch die anderen etwa 500 meist ältere Menschen vor ein Kaufhaus in Neukölln, wo Walter Momper nebst zwei Schattensenatoren für „Vertrauen für eine neue Politik“ warb. Zunächst hören sie ihm noch zu, wie er aufgeräumt und populistisch erzählt, wie es ihm so ergangen ist nach der Wahl. Seine Frau, die habe sich ja sofort gefreut, nachdem sie das Ergebnis erfahren habe, aber er habe zunächst mal auch den Berg von Problemen gesehen. Inzwischen mache ihm das alles aber Spaß, sagt er verschmitzt grinsend.

Momper bleibt jovial, als er über die AL spricht. Die würden immer so komische Sachen machen, wie aus einem Buch vorlesen oder ein Lied singen zu Anfang der Verhandlungen, aber es sei auch viel von deren Ernsthaftigkeit zu spüren gewesen. Die CDU habe ja schließlich die Tür vorerst zugeschlagen, und der „Wähler hat uns einen klaren Auftrag gegeben“.

Nun reichts den Anwesenden. „Is ja gar nich wahr!“ brüllt einer, sekundiert von zahlreichen Buh-Rufen. „Der hat doch vorher gesagt, er will nich mit die Grünen“, ereifert sich eine Frau mittleren Alters. „Die tragen doch die Steine in der Tasche, und dann haben wir wieder die Hausbesetzungen!“ analysiert einer die AL. Die beiden finden schnell Zustimmung. Und während die von der SPD vorgeschlagenen zukünftigen Senatoren für Wirtschaft und Hochschule, Peter Mizscherling und Hans Kremendahl, aufs Podium treten, diskutiert ein Teil der Menge heftig untereinander.

„Wir haben den Walter Momper gewählt und nicht die AL. Der kann doch jetzt nicht einfach mit den Chaoten zusammengehen!“ Ähnliches, wie es das Ehepaar unisono ausdrückt, ist aus allen Grüppchen zu hören. Eine, wie sie sagt, „alte SPD-Wählerin“, versucht zu beschwichtigen: „Also, wenn die AL mal sagen würde, daß sie gegen die Gewalt ist, dann könnte man doch eigentlich gut mit denen zusammengehen.“ Eine stolze „Mittsiebzigerin“ erklärt: „Die CDU war lange genug dran. Jetzt müssen mal die anderen zeigen, was sie können.“ „Vor allem bei den Mieten, dem FNP und der Gesundheitsreform!“ schlägt eine etwa gleichaltrige Frau vor. Doch die überwiegende Mehrheit ist hier in Neukölln eindeutig gegen Rot-Grün. „Ich hab ja nichts gegen die SPD und Walter Momper“, erläutert ein etwa 50jähriger, der gerade noch heftig auf deren „Wahlbetrug“ geschimpft hat. „Eine große Koalition wäre jedenfalls besser“, murmelt er noch und betrachtet dann die veteilte Postkarte. Auf der kann man ankreuzen, ob man Walter Momper „in seinen Anstrengungen, einen Senat für mehr soziale Gerechtigkeit und ein lebenswertes Berlin zu bilden“ unterstützt. Wer kreuzt denn da schon ein „Nein“ an, fragt ein junger Mann kopfschüttelnd. Er stößt auf einmütigen Widerspruch. „Na, is doch jut, wennse mal die Leute fragen und sich mal sehen lassen!“ faßt jemand die bei aller herben Kritik wohl vorherrschende Meinung zusammen. Als die SPD-Creme schon längst weitergezogen ist, stehen immer noch lautstark debattierende Gruppen auf dem Bürgersteig.

Rita Hermanns

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen