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Die Suffragette

■ Ein Text aus der Zeitschrift 'Die weißen Blätter‘ von Rene Schickele, herausgegeben 1913. Autor: Emile Auguste Chartier (1868-1951), genannt Alain.

Wie fühlt sich ein Mann klein in einem Hause, wo eine Frau in den Wochen liegt! Die Bemerkung ist von Sterne. Sie erhellt die wahren Beziehungen der Geschlechter und die natürlichen Prinzipien jeder Herrschaft.

Aus ihrer Natur heraus ist die Frau Herrscherin. Sie lebt nach dem Brauch, und der Brauch ist bereits das Gesetz. Sie hat Rezepte für die Küche und Rezepte für das Denken, ihr Ideal ist nicht erfinden, sondern wiederholen; ihr Werk ist das Kind, und das schönste Kind ist jenes, das allen Kindern gleich sieht. Die Ordnung, die Dauer, das Gleichgewicht, die Konservierung und die Konserven, das sind die Werke der Frau. Was ist der Mann? Ein Erfinder, ein Träumer, ein Dichter, ein Faulpelz. In den Tiergesellschaften ist der Mann so lange geduldet, als man seiner für die Reproduktion braucht. Hernach schmeißt man ihn hinaus, und er verreckt im Elend, während er einige Liebeslieder dichtet. So war es, denke ich, auch bei den Menschen oder vielmehr bei den Frauen während dieser Jahrhunderte, weit vor den ersten Monumenten der Geschichte. Die legendären Amazonen sind die letzte Spur dieser natürlichen Gesellschaft.

Aber wie geschah diese Revolution, die den Männern die Macht gab? Ich denke mir, sie bekamen zu essen, ein bißchen über die Zeit hinaus, in der man sie brauchte, weil sie singend gingen von Tür zu Tür und das die Kinder amüsierte und die Frauen. Die Frauen erhielten um dessentwillen die Spaßvögel von Männern. Während der menschliche Bienenstock arbeitete, erfanden die Männer die Worte, die Spiele und eine ganze Kunst, die Zeit hinzubringen. Auf diese Weise wurden sie intelligent und bemerkten die Eigentümlichkeit der Zahlen und Figuren. Während die Ameisen das Fressen in den Bau schleppten, erfanden die Nachtigallen die Spiele, dann die Werkzeuge, dann die Schlingen, dann die Waffen. So entstanden zwei mächtige Könige: das Gespräch und die Wissenschaft, welche heute die Welt beherrschen. Als die Amazonen merkten, daß sie schon allzulange die Lieder und die Gespräche ertragen hatten, da war es zu spät: Sie erfuhren, was es heißt, ein allzu empfindsames Herz zu haben und den Liebesbettlern und den Guitarrenträgern Almosen zu geben. Dichtung, Musik, Wissenschaft, Industrie, das ist die Geschichte der Männchen. Sowie sie den Bogen und den Schild erfunden hatten, waren sie Könige, sie verlangten das tägliche Brot und die Liebe zu jeder Zeit.

Das ist der gewaltsame Zustand, in dem wir etwa seit fünfzig Jahrhunderten leben. Der Luxus, die Künste, das Gedicht, der Krieg, die Industrie, die Wissenschaft, alles das bildet ein revolutionäres System und etwas wie einen permanenten Staatsstreich. Aber die Besiegten haben die Niederlage nicht hingenommen, die Gefühle bleiben, was sie waren. Die Frau betet ihren Herrn nicht an, außer in den kurzen Augenblicken des Rausches. Sie verachtet die Wissenschaft und die Erfindung, und in Erwartung eines Bessern bringt sie ihre Konfitürentöpfe in Schlachtordnung, während der Mann ins Cafe geht, Karten spielt oder über Liebe und Krieg schwätzt.

Wir haben den Text gefunden und dankend entnommen der Jahresgabe Kleine Vorschläge zum Leben der Druckerei Michael Järnecke in Issend.

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