Die Grenzen der Toleranz überschritten

■ Pressestimmen zur Jagd auf Rushdie / „Wieder droht der mittelalterliche Terror aus dem Inneren Persiens“

„Una nueva Inquisicion“ - eine neue Inquisition - betitelte die spanische Zeitung 'El Pais‘ ihren Kommentar zur Verdammung des Schriftstellers Salman Rushdie und seines Buches The Satanic Verses durch islamische Theologen. Sie unterscheidet sich dabei, meint 'El Pais‘, im Prinzip nicht von dem Vatikanorgan 'L'Osservatore Romano‘, das das neueste Werk des italienischen Autors Umberto Eco, Il pendolo du Foucault, ebenfalls verdammt habe.

Die Zensur von Rushdies Roman überschreitet allerdings sämtliche Grenzen der Intoleranz, schreibt der spanische Kommentator und schlußfolgert schließlich: „Dies ist wahrscheinlich eine der härtesten Auseinandersetzungen, die die Freiheit der Meinungsäußerung in unserer Zeit bedrohen.“

Den Versuch einer islamisch-christlichen, schiitisch -katholischen Frontstellung von Ayatollahs und Papsttum im Kampf gegen „Gotteslästerer“ belegt die italiensche Zeitung 'Corriere della Sera‘. Sie zitiert auf ihrer Seite Eins eine Note der iranischen Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom, in der verlangt wird, daß sich die „Verunglimpfung der Religion“ durch das blasphemische Buch Rushdies in Italien nicht wiederholen dürfe.

In seinem Kommentar schreibt der Schriftsteller Vijay Singh an in 'Le Monde‘: „Die Söldner Gottes wollen ihm ein neues Todesopfer bringen: Gestern war es Martin Scorsese wegen seiner Last temptation of Christ, heute ist es Salman Rushdie (...) wegen seines (...) Romans The Statanic Verses.“ Der Kommentator der französischen Zeitung weist darauf hin, daß sowohl der Film als auch das Buch in Indien verboten sind; beide seien Opfer einer neuen Wahlstrategie des Ministerpräsidenten Rajiv Ghandi, der auf solche Weise neue Wählerschichten für sich erobern wolle.

In einem Kommentar der Londoner 'Times‘ fragt Clifford Longley: „Warum ist der Islam entflammt?“ und stellt fest, daß die Verbindung von zwei schwerwiegenden Vergehen, Apostasie und Verunglimpfung des Propheten Mohammed, automatisch zu extremen Reaktionen bei fanatischen Gläubigen führen müßten und einen Affront darstellten, den auch gemäßige Muslime nicht ignorieren könnten.

Weiter schreibt er, bevor der Westen sich darüber erhebe, möge er sich daran erinnern, daß die Geschichte des Christentums durch ebensolche Phasen gegangen sei: „Der Islam im 20.Jahrhundert unterscheidet sich kaum von dem Christentum des 13. und 14.Jahrhunderts.“

In der Wahrnehmung des Westens sind sich die Muslime nach Ansicht des 'Times'-Kommentators einig: „Die westliche säkularistische Kultur stellt für sie die Degradierung, die Dekadenz des westlichen Christentums dar.“ Unweigerlich also sei für den Muslim die Autonomie des säkularen Lebens, das im Westen als eine Errungenschaft der Zivilisation angesehen werde, ein Greuel. Und deshalb schenke ein Muslim all den Argumenten keinerlei Aufmerksamkeit, die zugunsten des Buches von Rushdie auf rein säkularistischer Ebene operierten und dabei das Recht auf freie Meinungsäußerung anführten oder das Recht des Penguin-Verlags, zu veröffentlichen was er wolle.

Die 'Neue Zürcher Zeitung‘ kommentiert wie folgt: „Nach dem Heiligen Krieg gegen (den irakischen Präsidenten) Saddam Hussein, der gescheitert ist, folgt jetzt der Versuch, eine weltweite Menschenjagd auszulösen, Fanatiker an allen Ecken und Enden zu mobilisieren. Wieder, wie schon zu Beginn von Khomeinis rückwärtsgewandter sogenannter Revolution, droht der mittelalterliche Terror aus dem Inneren Persiens alle Grenzen zu sprengen.“

Die britische Boulevardzeitung 'Daily Mirror‘ gibt ihren Lesern unter der Überschrift „Sentences Of Death (Tödliche Sätze)“ Antwort auf die Frage, warum denn Rushdie das Risiko, ein solches Buch zu schreiben, eingegangen sei: „Rusdie sagt, Ziel und Absicht der Satanic Verses war, Vorurteile und Fanatismus anzugehen und zu bekämpfen durch Eröffnung eines Dialogs mit den Muslimen durch den Versuch, die muslimischen Massen freizumachen von der Zwangsjacke des Fanatismus, die ihnen die Mullahs angelegt haben. Es sieht aus, als ob Rushdies Versuch gescheitert sei.“

Sissy von Westphalen