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Das Abenteuer der Autonomie

■ Zum Ende des Semesters eine erste Bilanz von UNiMUT und bundesweitem StudentInnen-Protest

Jahrelang dümpelten die Universitäten vor sich hin, schienen sich ganze StudentInnen-Generationen nur noch für ihre Scheine zu interessieren. Jetzt sieht alles ganz anders aus. Werden die Unis wieder zum Ferment gesellschaftlicher Veränderungen oder holen die StudentInnen nur nach, was woanders bereits gelaufen ist?

Die Wände sind noch überall mit Streik-Parolen voll. „Besetzt“ steht da zum Beispiel noch - doch auch in Berlin ist die Zahl derjenigen, die ihre Insitute an der Universität besetzt halten, in den letzten Tagen auf ein immer kleineres Häuflein zusammengeschmolzen: Die Bewegung an den Hochschulen ist am Abebben; der Streik läpperte sich quasi in die Semesterferien hinein. Und die stehen ab Montag vor der Tür. Immerhin: Über zwei Monate hat in Berlin die „Streikfront“ gehalten, an der FU haben nur wenige Fachbereiche aufgegeben, darunter allerdings so wichtige wie Medizin, Physik und Chemie. In anderen Bundesländern sind die Streiks schon länger vorbei und die Proteste abgeflaut; an den meisten Universitäten wird wieder gebüffelt und werden Klausuren geschrieben. Hier und da wird noch protestiert, in Hannover etwa, wo am Mittwoch noch ein paar hundert Leute vor den Landtag zogen. Was ist die Bilanz dieser plötzlichen Revolte, die etliche Male totgesagt, nun noch immer nicht ganz zu Ende ist?

In Berlin ist alles wieder ein bißchen anders. Das Wahlergebnis hat eine ganz neue Dynamik entfacht - es war wie ein verspätetes Weihnachtsgeschenk für die StudentInnen, die Ende Januar schon ziemlich ratlos und „ausgepowert“ in ihren „befreiten“ Räumen saßen. Vor den Wahlen schien es ausgemacht, daß höchstens ein paar kosmetische Zugeständnisse erzielt werden könnten. Jetzt steht fest, daß mit einem rot-grünen Bündnis eine Hochschulreform kommt. Wie die aussehen wird, darüber läßt sich jetzt nur spekulieren: Als Formel ist vieles unstrittig zwischen AL und SPD, wie die Viertelparität oder die Stärkung der Hochschulautonomie gegenüber dem Staat.

Die Nagelprobe kommt dann nächste Woche, wenn die Ergebnisse der Verhandlungs-Kommission zum Thema Hochschule vorliegen. In den letzten beiden Wochen tingelten die Hochschulexperten beider Parteien durch die Unis, um den StudentInnen Rede und Antwort zu stehen. Während Hans Kremendahl (SPD) fast alles zu versprechen schien (nur auf eine Quote wollte er sich nicht festlegen), war die AL -Abgeordnete Hilde Schramm eher bemüht, allzugroßen Illusionen entgegenzutreten. Sie verweist zum Beispiel auf die Grenzen, die das Hochschulrahmengesetz der Einführung von Viertelparität setze: Nur auf der Ebene der Institutsdirektorien oder im Kuratorium gebe es Möglichkeiten.

Doch das ist alles noch Zukunftsmusik. Währendessen kämpfen die StudentInnen schon an ihren jeweiligen Fachbereichen für viertelparitätisch besetzte Kommissionen, die etwa an einer neuen Studienordnung arbeiten sollen. Kleine Erfolge wurden hier und da erzielt: Am Lateinamerika-Institut der FU etwa ist das Direktorium abgeschafft und durch einen viertelparitätisch besetzten Institutsrat ersetzt. Auch für Berlin ist das eine sehr weitgehende Regelung. Am Politik -Institut der FU blieb das alte Entscheidungsgremium, der Fachbereichsrat, bestehen, hat sich allerdings verpflichtet, die Beschlüsse der dort während des Streiks eingerichteten Viertelparitätischen Kommission zu übernehmen.

Unmittelbare Erfolge

blieben aus

Dennoch, den großen Durchbruch haben die Streiks nirgendwo gebracht. Der Austrockung der Sozial- und Geisteswissenschaften konnte nirgendwo Einhalt geboten werden; von einer Kurskorrektur in der Bildungspolitik kann schon gar keine Rede mehr sein. Selbst die finanziellen Zugeständnisse sind nur Tropfen auf den heißen Stein: Das von Bildungsminister Möllemann angekündigte Milliarden -Programm ist bis heute nicht gesichert (siehe taz vom 14.2.89). Allen Protesten zum trotz rückte auch die SPD in Nordrhein-Westfalen von ihrem „Strukturplan“ keinen Millimeter ab:

Alleine Gespräche zur Wiedereinführung der Verfassten Studentenschaft lehnte das bayrische Wissenschaftsministerium rundweg ab. Zusätzliche Gelder wurden versprochen, aber ohne Zahlen und konkrete Daten. Für Baden-Württemberg hat Lothar Späth zwar 120 Millionen Mark zugesagt, die die SPD-Opposition im Landtag allerdings „Schönfärberei“ und „Millionenbluff“ nannte: Denn tatsächlich bringt das Land nur 40 Millionen auf, und davon sind über 30 Millionen bereits verplant, für studentische Wohnungen und den Ausbau von Berufsakademien. In Niedersachsen hat Albrecht immerhin die 1986 gefaßten Sparbeschlüsse rückgängig gemacht.

Kleine Erfolge haben die StudentInnen in ihrem Alltag erzielt: So wurden in Augsburg immerhin Studienreformkommissionen eingerichtet, deren Vorschläge die Dozenten akzeptieren wollen. Andere Ergebnisse sind so kleinteilig, daß es kaum lohnt, sie alle aufzuzählen: An der Münchner TU hat das Mathe-Institut endlich die seit 20 Jahren geforderte Cafeteria bekommen. Zwei andere Beispiele: In Marburg konnte der Unileitung das studentische Kommunikationszentrum abgetrotzt werden, und ein sogenanntes Strategieplenum will über die Semesterferien dafür sorgen, daß im Sommer nicht alles vorbei ist. In Gießen erhält jeder Fachbereich zusätzliche 800 Mark - Gelder für Gruppen, die sich um die „Entrümpelung“ der Studienordnung kümmern wollen.

Dennoch wäre es falsch, an den Protest allein diese Maßstäbe anzulegen. Vielleicht ist die Politisierung, die in den letzten Wochen an den Universitäten vonstatten ging, auf lange Sicht ein größeres Kapital als die Frage, wieviele Tutoren den Professoren zugestreikt worden sind. „Seit 1970 hat es so viel Selbstreflexion und Lernprozesse über das Verständnis von Wissenschaft und die studentische Situation nicht mehr gegeben“, resümiert etwa der Berliner Hochschulprofessor Peter Grottian.

Auch von StudentInnen hört man immer wieder, daß sie, etwa über die Aufgabe von Wissenschaft, in diesen Wochen mehr gelernt haben als in zwanzig Seminaren zusammen. Und erstmals mußten sich wohl auch Studenten mit der vielfältigen Kritik an (männlicher) Wissenschaft auseinandersetzen, die Feministinnen in kleinen Zirkeln schon lange diskutieren. Auch das gehört zum Thema Lernprozesse - obwohl vielleicht gerade in diesem Bereich die Ungleichzeitigkeiten am stärksten ausgeprägt sind: An den technischen Fachbereichen im Bundesgebiet konnten die Studentinnen kaum das Wörtchen „Quotierung“ aussprechen, ohne ausgepfiffen zu werden.

Diese Lernprozesse haben die Universität verändert und werden zumindest im nächsten Semester noch spürbar bleiben. Daß im Sommersemester die Streiks neu aufflammen, ist eher unwahrscheinlich und wird, wenn überhaupt, auf einige wenige Institute beschränkt bleiben. Dennoch wollen sich in den Semesterferien überall StudentInnen treffen, um den Frühling zumindest mit ein paar Aktionstagen einzuläuten. An mehreren baden-württembergischen Universitäten haben die PsychologiestudentInnen bereits für die zweite Woche des Sommersemesters einen Streik beschlossen. Und in Berlin wollen die StudentInnen einen Verhandlungsrat bestimmen - er soll dem neuen Senat wenigestens als „kompetentes Gremium“ gegenüberstehen, wenn alle anderen in die Ferien ausgeflogen sind.

Ursel Sieber

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