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Neues Ost-West-Handelszentrum

■ Tausende polnischer Kleinhändler beleben den Kreuzberger Krempelmarkt / Ärger bei legalen Trödlern

Wie ein Prediger steht er mitten im Getümmel - über die ausgebreiteten Arme sind Halsketten, Handtücher und Nähbänder drapiert, im Reißverschluß seines Anoraks hängt an einem Kleiderbügel ein schwarz-silbernes Damenkostüm. Ausgebreitet auf der Titelseite der 'Tribuna Ludu‘ stapeln sich zu seinen Füßen Käsestücke, Würste, Butterpakete, Makrelendosen, ein Porzellan-Service, zwei Fußbälle und ein Bildband über den Papst. „15 Mark“, sagt er und deutet auf den Heiligen Vater, soweit seine eingeschränkte Bewegungsfreiheit das zuläßt. 20 Mark kostet das Kostüm, für eine Mark gibt es drei Würste.

Zbigniew ist Lehrer in Pila, einer polnischen Kleinstadt, 50 Kilometer von Posnan entfernt. Seit drei Wochen steigt er jeden Freitag nachmittag um fünf mit zwei voll gepackten Reisetaschen in den Bus, fährt die Nacht durch. Samstag morgen um sieben steht er zwischen Kreuzberger Krempelmarkt und Bernburger Straße und breitet Waren und Arme aus. Macht der Zoll Ärger, dauert es schon mal länger, dann kann er erst um zehn Uhr anfangen. Acht bis neun Stunden vertritt er sich bei Kälte oder Regen die Füße, bis es abends mit dem Bus wieder nach Hause geht. Zwar ist im Fahrpreis auch ein vierstündiges Tourismus-Programm inbegriffen, doch das findet ohne Zbigniew statt. Er ist schließlich nicht zu seinem Vergnügen hier.

Vor drei Wochen teilte er sich den Platz noch mit ein paar hundert Landsleuten, letztes Wochenende waren es rund 3.000, heute, schätzt er, dürften es wohl doppelt so viele sein. Gegen zehn Uhr morgens ist der Acker an der Magnetbahn völlig überfüllt, die Schlange der Verkäufer zieht sich rund um den eingezäunten Trödelmarkt am Reichspietschufer. Wer auch da keine Zeitungsseite oder Plastikunterlage mehr ausbreiten konnte, weicht in den anliegenden Mendelsohn -Bartholdy-Park aus.

Anfang des Jahres hatte die polnische Regierung die Ausreisebestimmungen erleichtert. Seitdem hat sich West -Berlin in wenigen Wochen zur Drehscheibe eines Ost-West -Handels ganz besonderer Prägung gemausert - eine Art multikultureller Trödel und Schwarzmarkt. Die Waren stammen alle aus polnischen Läden, so versichert Zbigniew zumindest. Für Spottpreise - zumindest nach westlichen Maßstäben bieten die polnischen Wochenendunternehmer sie auf den Berliner Trödelmärkten zum Verkauf an.

Den Gewinn garantiert der Schwarzmarktkurs für westliche Devisen, der etwa um das Siebenfache über dem offiziellen Wechselkurs liegt. Die Frage, warum er sein Wochenende nicht in Ruhe zu Hause verbringt, findet Zbigniew deshalb ziemlich überflüssig. Gerade hat er einen Fußball für acht Mark an zwei türkische Jungen verkauft. Mit den 80 Mark, die er heute eingenommen hat, bekommt er in Polen 120.000 Zloty. Sein Monatsgehalt als Lehrer beträgt 80.000.

An Kundschaft herrscht kein Mangel. „Früh kommen die Türken, nach dem Mittagessen die Deutschen.“ Erstere kaufen viel, letztere zahlen immer den Preis, den man ihnen nennt. Sprachschwierigkeiten spielen keine Rolle. Ein Landsmann, zwei Plastiktüten weiter, demonstriert das eindrucksvoll, indem er zwei Frauen mit viel Gestikulieren die Funktionsweise eines Lötkolben made in Poland erläutert. Als die beiden abwinken, fischt er einen Lockenstab aus der Tasche. „Acht Mark“, bedeuten die ausgestreckten Finger seiner Hände.

Der polnische Eisenwarenhandel muß seinen Umsatz in den letzten Wochen enorm gesteigert haben - nagelneue Werkzeugkästen und Gartenscheren gehören zum Standardangebot auf dem Polenmarkt. Dazu gibt es Obstschalen, Kerzenständer, Angelgerät, Erste-Hilfe-Kästen, Pflaster und Lederwaren. Zwei elektrische Rasierapparate wechseln für zwölf Mark den Besitzer. Die polnischen Telefone Marke „Telcom“ dürften dagegen eher Sammlerwert haben. Ab und an raunt jemand im Vorbeigehen ein halblautes „Wodka“ und „Marlboro“ und schlägt das Handtuch über der Reisetasche ein Stück zurück, um die Ware zu zeigen. Fünf Mark kostet die Flasche. Unnatürlich ausgebeulte Lederjacken bei den Marktbesuchern deuten darauf hin, daß sich die Preise schnell herumgesprochen haben.

Während sich die einen über Dumpingpreise, die anderen über Devisen freuen, wächst hinter dem Zaun der Unmut über die unliebsame Konkurrenz. Die Händler auf dem alten Trödelmarkt klagen über Umsatzverluste. Polizei und Zollbeamte, die sich bisher auf Stichprobenkontrollen bei der polnischen Konkurrenz beschränken, haben zur Zeit bei den Standinhabern einen schlechten Ruf. Sie müssen sich mit dem Gewerbeaußendienst herumschlagen und täglich 100 Mark Standgebühr bezahlen, beschwert sich eine Händlerin, aber um die Polen kümmere sich keiner. Bei den Ordnern wird ein härterer Ton angeschlagen. „Jeden Montag muß die Stadtreinigung bestellt werden, um die Sauerei da wegzumachen“, sagt einer. Es folgt der obligatorische Hinweis auf den deutschen Steuerzahler, der alles bezahlen müsse. Seinen Namen möchte er dann doch nicht nennen, dafür aber der Polizei den guten Rat geben, etwas zu tun, bevor „die Leute das hier selbst in die Hand nehmen. Hier braut sich ein Haß zusammen, weil die sich vermehren wie die Zecken“. Nein, bisher habe es noch keine größeren Scherereien gegeben - nur bei ein paar polnischen Autos seien die Reifen aufgeschlitzt worden. Sein Gesichtsausdruck verrät durchaus Anerkennung für solche Umgangsformen.

Während sich italienische und türkische Trödelhändler verbittert über die nachsichtigen Umgangsformen gegenüber der polnischen Konkurrenz zeigen, empört man sich beim deutschen Publikum, daß die Polen gar nicht so notleidend sind, wie das Fernsehen immer behauptet. Die vielen PKWs mit schwarzen Nummernschildern mindern schnell den Mitleidsbonus, den man ihnen bisher zumindest widerwillig zugestanden hat. „Arme Polen haben kein Auto“, räsoniert ein Trödelmarktbesucher über seiner Currywurst. Ergo soll ihm keiner mehr erzählen, die hätten da drüben nichts.

Für heute ist Schluß - in einer Stunde geht der Bus. Zbigniew packt seine Ladenhüter zusammen. Das Kostüm hängt immer noch am Bügel, für den Papst hat sich auch keiner interessiert. Ansonsten war der Tag nicht schlecht. Mit seinen Reisetaschen über der Schulter trottet er Richtung Bernburger Straße - bis zum nächsten Wochenende. Auf der anderen Seite des Zaunes werden unterdessen an der Imbißbude bei Glühwein und Dosenbier Gegenstrategien diskutiert. „Wenn da zwei Wochen lang keiner was kauft“, glaubt der Pächter, „dann sind die weg vom Fenster.“

Fünf Meter weiter wird vorgeführt, daß diese Methode aussichtlos ist. Ein Blondschopf mit Nickelbrille präsentiert seinen Freunden, was er nebenan auf dem Polenmarkt ergattert hat. „Ein Design wie aus dem Bauhaus“, sagt er und hält einen hellblauen Wecker, Marke „Slawa“, in die Höhe. „Made in USSR - wenn das nicht voll im Trend liegt.“

Andrea Böhm

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