: Swinging Metropolis
■ 18. Zeitgeist, heftig bis fragil
Ein reichliches Jahr, von 1920 bis 1921, verleiht Rosa Valetti dem NamenGrößenwahn noch einmal Glanz & Attraktivität. Über Paulys so geheißenem Cafe hebt sie das Cabaret Größenwahn aus der Taufe; ein teures Hobby, finanziert auch durch Nebenbei-Auftritte im eben eröffenten Pomp-Variete Scala in der heutigen Martin-Luther-Straße. Die Valetti - als 60jährige wird sie denBlauen Engel mit ihrer bemekenswerten Darstellung der zerknautschten Tingel-Tangel-Mami bereichern - stammt aus Wien und gehört zu jener Sorte engagierter Bühnenkünstlerinnen, die sowas wie einen revolutions-kabarettistischen Gegenpol zu den spekulativen Nackt-Shows ringsum bilden. „Robust, radikal, aber auch grandios grotesk“ alliteriert Musicalchronist Maurus Pacher; die zeitgenössische Presse spricht von einer „richtigen Teufelsschönheit“, einem „echten, rechten Revolutionstemperament“. „Ihre heisere Baßstimme heult Orkane, ihre Arme fahren mit bärenhaftem Schlag durch die Luft, ihr Leib steht schräg aufgerissen im Raum.“ (Julius Bab, Expressionist!) Also interpretiert sie das politische Ringelreihen in der Nummer Berlin - simultan: „Das Volk steht auf! Die Fahnen raus!/ - bis früh um fünfe, kleine Maus!/ Im UFA-Film:/ 'Hoch, Kaiser Wil'm!'/ Die Reaktion flaggt schon am DOM/ Mit Hakenkreuz und Blaukreuzgas -/ Monokel contra Hakennas‘ -/ Auf zum Pogrom/ Beim Hippodrom!... Eins! Zwei! drei!/ Rrrutsch mir den Puckel lang/ Puckel lang!“
Die Querverbindungen sind viele. Mehring & Hollaender, Verfasser dieses satirischen Kampfliedes, zeichnen wie der ebenso fleißige Tucholsky en passant verantwortlich für etliche Programmpunkte in der Rakete, Ecke Joachimsthaler-/Kantstraße, wo auch unsere „rote Rosa“ gewirkt hatte. Zwei (wieder mal) Wiener, Kurt Robitschek & Paul Morgan, beschließen hier die Gründung des berühmten Kabarett der Komiker, und auf der Bühne läßt sich ein echter Erzherzog, Ferdinand von Österreich, bestaunen. Das heißt, genau genommen, ein Ex-Erzherzog, denn erstens gehören in diesen Jahren die Thronfurzer bereits monarchischer Vergangenheit an, und außerdem hätte sich der potentielle Potentat Leopold Wölfing ohnehin um die Regierungsprivilegien gebracht, alldieweil unstandesgemäß, mit einer Bürgerlichen, verheiratet. Demtentsprechend mickrig fällt denn die monatliche Apanage des Hauses Habsburg aus, und sein Lebensmittelgeschäft scheint auch nicht genügend einzubringen. Da kömmet Leo auf die größenwahnsinnige Idee, sich dem Größenwahn als blaublütige Attraktion anzubieten; ohne irgendwelches Können, wohlgemerkt, nur so, als ein Fossil. Zu unergiebig, befindet die Prinzipalin und reicht ihn den Raketen -Kollegen weiter. Dort wird der dynastische Brettl-Fan tatsächlich verbraten. „Hoheit kehrt wieder“ nennt sich der schwachsinnige Sketch um eine Puffmutter & den Erzherzog, der sich selber spielt, mehr schlecht als recht, gar ein Wienerlied zum Vortrag bringend. Lakonisch seufzt ein Kritiker: „Gar nichts bleibt diesem Lande und dem Berliner Kabarett erspart.“
Inzwischen brillieren am Ku'damm 26 die Stars, liefern ein letztes, furioses Gefecht vor der Pleite. Die tritt ein trotz regen Publikumszuspruchs & bemerkenswerter Erfolge, was erneut beweist, daß Idealismus & Materialismus zwei Paar Stiefel sind - nicht nur im marxistischen Sinne. Blandine Ebinger, zerbrechlicher, anämischer Kontrast zur forschen Chefin, leidet nachhaltig unter dem qualmenden Zuschauerpulk - das alte, gesundheitsschädigende Nachtclub-Übel. Bezogen auf Jazzkeller, allgemeingültig dennoch, beklagt Joachim Ernst Behrendt die „Untertagearbeit“, welche „ganze Generationen von Musikern (...) verschlissen“ hätt. Noch im Ende letzten Jahres ausgestrahlten dreiteiligen TV-Protrait von Horst Königstein ist „Blandinchen“ (Verehrer Tucho) die dicke Luft im Valettischen Etablissement lebhaft präsent. Kein Wunder, erwischt sie doch bald eine schwere Lungenerkrankung, wie der Herr Papa, Arzt von Profession, diagnostiziert. Solche Realität fügt sich bestens zu ihrem Kellerkinder-Repertoire. Friedrich Hollaender schreibt der Lebensgefährtin Titel auf den kindlichen Leib wie das „Mondlied“ oder „Wenn ick mal tot bin“, einen ganzen Zyklus leicht befremdlicher „Lieder eines armen Mädchens“. Inspirierender Beginn ist Klabunds Bänkeltext „Ich baumle mit de Beene“. Erst milljöhgerecht a la Zille kippt die letzte Strophe ins moritatenhaft Makabre: „Manchmal in den Vollmondnächten/ Is mir gar so wunderlich:/ Ob sie meinen Emil brächten,/ Weil er auf dem Striche strich!/ Früh um dreie krähten Hähne,/ Und ein Galgen ragt, und er.../ Und er baumelt mit de Beene,/ Mit de Benne vor sich her.“ „Jonny, wenn du Geburtstag hast“ trägt sie auch bereits vor, ein Song, zu dem's ihr nach 1933 an der rechten Lust gebricht. Dann nämlich wird Marlene - ohne die Vorstrophe „In der kleinen Pony-Bar/ ist der Neger-Jonny Star“ - einen Evergreen daraus machen, darob Frau Ebinger-Hollaender mäkelt: „Lange Zeit trug ich 'Jonny‘ nicht vor, weil das Lied, wie ich fand, einen falschen Zungenschlag bekommen hatte durch Marlene Dietrich, die daraus eine Sex-Episode machte.“
Norbert Tefelski
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