: Anything goes dead
■ Oliver Stones und Eric Bogosians „Talk Radio“ im Wettbewerb
Die Kamera ist stets in leiser Bewegung. Aber sie fährt nicht geradewegs auf Barry zu, sondern in einer sich am Schluß verengenden Kurve. Barry kommt also zum Beispiel rechts hinten ins Bild und wandert langsam nach links vorne, während rechts durch die Drehung die Studioscheibe erscheint, hinter der Stu, der Toningenieur, ein aufgeregtes Zeichen gibt: Werbeblock zuende, nach dem Hardrocklogo von Barry Radiotalkshow ein neuer Anrufer. Durch dieses verhaltene Kreisen, nicht durch einen hektischen Schnitt, der nur pleonastisch wäre, kommentiert die Kamera das irrwitzige Tempo der Eingangsszene.
„Tonight anything goes“. Barry Champlain, ein schwarzhaariger, aber helläugiger Wuschelkopf, der selbst wenn er rasiert ist noch stoppelbärtig wirkt, ist nicht gerade das Inbild des sauberen Amerikaners. Er raucht und trinkt, und er interessiert sich für Dreck - die Ängste und Ressentiments der Hörer, auch gegen ihn als Juden. Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Homosexuellenhaß, überhaupt alle Spielarten psychosozialer Kaputtheit: Barry läßt es an sich hochschwappen und abgleiten. Keiner redet es so zynisch und witzig nieder wie er. Barry kann die Wette nur gewinnen. Seinen Anrufern ist er haushoch überlegen, intellektuell sowieso, vor allem aber technisch. Er kann sie ja einfach aus der Leitung schmeißen. Auf der Warteschleife stehen noch genug andere. Barry ist der Herr der Knöpfe. Damit hat er Erfolg, Metrowave plant, die Sendung aus Dallas landesweit zu übernehmen.
Aber so ohnmächtig, wie es das Anything goes in der selbstverliebten Isolation des Studios scheinen läßt, sind die Ressentiments nicht. Chet, der Neonazi mit dem böse knarrenden Gießkannenbaß, beschickt Barry schon mit toten Ratten und Morddrohungen. Nicht nur Stimmen dringen auf Barry ein, es materialisiert sich zusehends, zuletzt sind es Kugeln.
Talk Radio basiert auf dem tatsächlichen Fall des jüdischen Talkmasters Allen Berg, der 1984 von einem Neonazi erschossen wurde. Er gehörte zu den ersten Moderatoren von „Schock-Talkshows“, die den dahinsiechenden Radiostationen Anfang der achtziger Jahre plötzlich wieder Gewinne brachten. Daß Berg Jude war, ist für das Prinzip dieser Sendungen offensichtlich nicht unerheblich. Dadurch zog er einen größeren rassistischen Haß auf sich, und dadurch wiederum Hörer, Werbung, Geld.
Eric Bogosian hat aus Bergs Geschichte ein Theaterstück gemacht, das er 1987 als sein eigener Hauptdarsteller in New York uraufführte, und jetzt, mit Oliver Stone (Platoon, Wall Street) als Regisseur den Film Talk Radio.
Paradoxerweise wäre der Film filmisch überzeugender, wenn er sich an die klaustrophobische Theatersituation gehalten hätte. Stattdessen haben Stone und Bogosian die Geschichte fürs Kino um eine sepiastichige weichgezeichnete Rückblende in Barrys Anfänge als Moderator und um ein Beziehungsmelodram mit Ex-Frau angereichert.
Noch einmal zur kreisenden Kamera also: ein vielleicht konventionelles, aber sinnfälliges Mittel. Durchs Kreisen wird Barry umstellt, herausgelöst, gefesselt und gebannt. Die Kamera sieht den Macher als Opfer. Gegen die zunehmend einbrechende Außenwelt - den Drogensüchtigen, unheimlichen Kent zum Beispiel, den er ins Studio einlädt - ist Barry wehrlos.
Am Schluß, bei Barrys großer Selbstanklage und Publikumsbeschimpfung, kreist nicht mehr die Kamera, die Barry jetzt fest im Visier hat, sondern hinter ihm die schemenhafte Studioeinrichtung. Nach den Gesetzen der Fliehkraft wird Barry über den Rand rutschen. Das System selbst katapultiert ihn hinaus. Daß er draußen auf dem Parkplatz erschossen wird, ist nur noch so etwas wie eine symbolisch-äußere Bestätigung einer inneren Notwendigkeit.
Die große Rede Barrys in seiner letzten Sendung, bevor er dem Neonazi-Attentat zum Opfer fällt, ist problematisch, nicht inhaltlich - sie ist beeindruckend -, sondern formal, als ästhetisch versöhnende Rundung in einem an sich unversöhnlichen Film. Stone und Bogosian legen Barry die Rede in den Mund wie einem Delinquenten die letzten Worte, als wüßte er von seinem Tod und spreche gewissermaßen schon von der anderen Seite.
Thierry Chervel
Talk Radio, Regie: Oliver Stone, Buch: Oliver Stone und Eric Bogosian, mit Eric Bogosian u.a., USA 1988, 118 Min.
Am 23.2. läuft der Film in den Kinos an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen