: VfB wie sieben Tage Regenwetter
VfB Stuttgart - Borussia Dortmund 1:3 / Stuttgarter ohne Chance gegen „Horschtles“ Konterfußball ■ Aus Stuttgart Matti Lieske
Wer gedacht hätte, daß das Fußballpublikum nach der langen Winterpause wie ein Rudel gieriger Wölfe in die Stadien einfallen würde, sah sich am ersten Spieltag der Rückrunde arg getäuscht. Im Neckarstadion beispielsweise, wo mit dem VfB Stuttgart immerhin ein Meisterschaftsaspirant gegen ein nicht unattraktives Team, Borussia Dortmund nämlich, anzutreten hatte, waren es gerade mal 17.600 Menschen, die miterlebten, wie sich die Wetterlage mit einem kräftigen Schauer für die Winterpause rächte und die Stuttgarter gar wie sieben Tage Regenwetter spielten.
Das hatte verschiedene Gründe, deren einer in Rumänien beheimatet war. Wer die Mannschaft von Steaua Bukarest ein wenig kennt, der weiß, daß es nicht unbedingt ratsam ist, ein Freundschaftsspiel gegen sie auszutragen. Freundschaft kennen die Lieblingskicker Ceausescus allenfalls außerhalb des Spielfeldes, auf dem Platz treten sie nach allem, was sich bewegt. Dies mußten die Stuttgarter vor einer Woche erfahren, allen voran Jürgen Klinsmann, dem eines der vielen brutalen Fouls zwei von drei Außenbändern am linken Knöchel zerfetzte und mindestens sechs Wochen Pause bescherte.
Trotz Klinsmanns Ausfall war der VfB zuversichtlich. „Alles spricht für uns“, dozierte Club-Präsident Mayer-Vorfelder, im Zivilstand Kultusminister und Ämterhäufer, und Trainer Arie Haan verkündete, daß nun eben alle „noch einen Schritt mehr als ohnehin schon üblich“ laufen würden.
Borussia Dortmund jedoch hatte andere Pläne. Die Stuttgarter konnten laufen, wohin sie wollten, die gelb -schwarzen Abwehrspieler waren schon da. Ohne Klinsmann fehlte dem VfB-Angriff jegliche Durchschlagskraft, Haans Hoffnung, daß Fritz Walter und Maurizio Gaudino des blonden Torjägers Abwesenheit zu befreitem Aufspiel nützen würden, versickerte alsbald im schlammigen Boden.
Eine einzige brenzlige Situation konnten die Schwaben anfangs im Strafraum der Borussia heraufbeschwören, aber nachdem beide Parteien so viele Löcher in die Luft geschlagen hatten, daß schon Atemnot grassierte, wurde es den Dortmundern zu bunt. Der klobige Dickel entfleuchte seinem säumigen Bewacher Zietsch, flankte unbeholfen in die Mitte, der Ball blieb hängen und prallte noch mal zu Dickel, der es diesmal schaffte, genau den Fuß von Frank Mill zu treffen. Das Leder sauste ins Netz, es hieß 0:1.
Nach diesem Affront in der 10. Minute verzichteten die Stuttgarter erstmal fast gänzlich auf das Laufen. Wenn sie es taten, dann hinter den Dortmundern her, die wie die Teufel konterten. Mill spielte Katz und Maus mit Buchwald, Andreas Möller spann kluge Fäden, Michael Rummenigge führte ständig vor, daß keiner den Ball so hübsch wie er von der Brust abtropfen lassen kann, und Dickel trieb Zietsch zu Verzweiflung und Auswechslung (35.). „Gesund bleiben“, hatte Zietsch in der Stadionzeitung als persönliches Ziel angegeben. Es war das einzige, was ihm an diesem Tag gelang.
Ein Borussen-Spieler jedoch überragte alle: Günter Breitzke. Der 21jährige defensive Mittelfeldspieler eilte immer wieder dreist nach vorn und stürzte die VfB-Abwehr in höchste Verwirrung. In der 18. Minute nutzte er einen gescheiterten Ausflug von VfB-Libero Allgöwer zu einem blitzartigen Vorstoß in die entblößte gegnerische Hälfte, ignorierte völlig zu recht den eifrig aus dem Abseits winkenden Dickel, flocht noch einen kurzen Doppelpaß mit Mill ein und kickte den Ball fast beiläufig zum 2:0 ins Netz. Auch das 3:0 in der 72. Minute war das Werk Breitzkes, der bei seiner Auswechslung wenig später mit einer regelrechten Ovation - des Stuttgarter Publikums wohlgemerkt - verabschiedet wurde.
Ein Vorwurf kann den Dortmundern allerdings nicht erspart werden: gemessen an ihren Chancen schossen sie viel zuwenig Tore. Aber das lag möglicherweise daran, daß sie, wie Trainer Horst Köppel später mitteilte, eigentlich gar nicht gewinnen wollten. Kurz zuvor hatte der haarlose „Horschtle“, wie er in Stuttgart in Erinnerung an alte VfB-Zeiten liebevoll genannt wird, seine reife taktische Leistung mit einem besonderen Kabinettsstückchen gekrönt, als es ihm wenige Minuten vor Schluß gelang, einen Spieler auf den Platz zu schicken, der noch unbeholfener und schwerfälliger wirkte als Norbert Dickel: den dänischen Neueinkauf Marc Strudal.
Den Gastgebern hingegen gelang neben einem Pfostenschuß des schwachen Sigurvinsson nur noch das Ehrentor durch Schütterle. Etwas wenig, wenn man bedenkt, daß ja alles für sie sprach. Aber ein Verein, der es vermag, in einer einzigen schnöden Stadionzeitung gleich vier Fotos seines christlich-radikalen Präsidenten unterzubringen, hat wahrlich nichts Besseres verdient.
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