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„Reinhold - Arbeitgeber-Unhold“

■ Am Mittwoch erste Betriebsversammlung seit 21 Jahren bei Reinhold-Datenerfassung / Gewerkschaftliche Protestversammlung gegen Mini-Lohn und Kündigungen

„Alles Lüge“, sagte die Prokuristin Richter von der Firma Reinhold Datenerfassung GmbH. Unten vor dem Eingang standen gut 40 GewerkschafterInnen und protestierten mit der Parole „Reinhold-Arbeitgeber Unhold“ gegen die Beschäftgiungsbedingungen der kleinen Firma, oben tippten an drei Tischreihen fleißige Frauenhände Angaben aus Stapeln von Lochkarten in die Bildschirm-Tastaturen. Zehn, zwanzig Buchstaben in die Tasten gehauen - Lochkarte auf einen anderen Stapel und umgedreht - wieder zehn oder zwanzig Buchstaben in die Tasten. Fließband-Arbeit gibt es auch ohne Fließband.

Gestern kamen mal wieder Gewerkschafter an den Tresen des Betriebes und stritten mit den Vertretern des in Kur weilenden Unternehmers. (vgl. taz 2.2.) Lüge sei, daß die Daten in Waschkörben durch die Stadt gefahren würden - eine Tasche mit Plomben dient zur Veranschaulichung des Gegenteils. Richtig ist allerdings, daß die meist jungen Frauen in den ersten Monaten 620 Mark verdienen, nach zwei Jahren kommt eine Mitarbeiterin gerade auf 1000 Mark brutto versteht sich. „So allein kann man davon nicht leben“, sie lebt vom Freund mit. Das sei branchenüb

lich, die Datatypistinnen müßten ja erst eingelernt werden und schließlich habe man viel Fluktuation, erläutert die Prokuristin. Eine Kollegin verdient für einen 5-Stunden-Tag 2000 Mark, sie ist seit zehn Jahren im Betrieb und gegen die gewerkschaftlichen Konfliktstrategie: „Ich habe panische Angst, meinen Arbeitsplatz zu verlieren.“ Die Stimmung ist schlecht, die Gruppe der 14 Frauen gespalten.

Nachdem die DAG im Januar mit einigem öffentlichen Wirbel die Einrichtung die Abhaltung einer Betriebsversammlung und die Wahl einer Betriebs-Obfrau forderte, waren vier Mitglieder der DAG entlassen worden, eine sogar mit sofortiger Beurlaubung und Hausverbot. „Vertrauensbruch“ sei bei zweien der Grund gewesen, sagt die Prokuristin, mehr will sie nicht sagen - der Fall geht vors Arbeitsgericht. Dort werden wahrscheinlich auch die anderen beiden landen: Eine Datatypistin soll eine Krankenschein gefälscht haben, eine andere sei nach ihrer Probezeit - in der sie fleißig und zur Zufriedenheit des Chefs die Tasten zu bedienen gelernt habe - plötzlich schlecht geworden; fehlende Qualifikation ist der förmliche Grund der Kündigung.

Der DAG-Vertreter Hartmut Frensel sieht einen eindeutigen Zusammenhang zudem gewerkschaftspolitischen Engagement der vier. Die Firma Reinhold läßt sich zu allem Überfluß ausgerechnet von dem Anwalt vertreten, der auch bei dem Eduscho-Konflikt gegen die DAG gestritten hat.

Wenn am Mittwoch im Betrieb die erste Betriebsversammlung in der 21jährigen Geschichte des Unternehmens stattfindet, dann dürfen die vier Gekündigten noch einmal dabei sein. Auf die Forderung des DAG-Vertreters Frensel, die Kündigungen sofort zurückzunehmen und die Löhne, die zum Teil unter dem Sozialhilfesatz liegen, auf ein menschenwürdiges Niveau anzuheben, wollten die Vertreter des kurenden Firmen-Chefs gestern nicht eingehen. Ein gewerkschaftlicher Konfliktpunkt ist auch die Überstunden-Regelung. In den ersten beiden Wochen des Monats häuft sich die Arbeit, in den beiden letzten Wochen gebe es weniger, erklärt die Prokuristin, dann könnten die „Mädchen“ abfeiern. Aber auch solche Belastungen, die bis zu 14 Stunden am Tag betragen kann, muß nach den gewerkschaftlichen Vorstellungen entlohnt werden.

K.W.

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