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„So kann man nicht leben“

■ Von Michail Schwanezkij

Unser Leben charakterisiert der Satz: „So kann man nicht länger leben.“

Zuerst hörten wir ihn von den Barden und Satirikern, dann von den Prosaikern und Ökonomen, jetzt von der Regierung. Unsereins hat diesen Satz schon vor dreihundert Jahren gehört, vor zweihundert, vor hundert, und vor siebzig Jahren schließlich hat unsereins getan, wie man ihm riet. Denn so konnte man nicht länger leben... Seither hört er den Satz jeden Tag.

Als er sich davon überzeugt hatte, daß diese Worte keine Phrase mehr waren, sondern Gesetz wurden, war er fröhlicher Stimmung. Wie du auch gelebt hast, so geht es nicht weiter. Wie aber dann - da sind die Ansichten geteilt. Dort auf der anderen Seite des Hügels leben sie anscheinend nicht schlecht, aber so darf man nicht leben. Außerdem haben wir bedeutende Werktätige unter uns, die wiederholen, daß wir so wie dort nicht leben dürfen, da wir dem schon einmal abgeschworen haben, und jetzt müssen wir uns abquälen, aber Wort halten.

Auf die Frage:

„Gibt es dort was zu essen?“

„Ja.“

„Gibt es was zum Anziehen?“

„Ja.“

„Gibt es was zu trinken?“

„Ja.“

Ja warum kann man so nicht leben? Da werden sie puterrot, gehn zum „du“ über und dann kriegst du derart was über dich zu hören, daß du noch lange den Kopf schüttelst und nachts flüsterst: „Halt mal, ich war doch '65 überhaupt gar nicht in Kasan!“

Kurz, so wie dort zu leben, ist verboten, und so wie hier kann man nicht leben. Deshalb schaut man mit demselben Vergnügen, mit dem früher das Publikum die Humoristen beobachtete, die zwischen Gefängnis und Freiheit balancierten, jetzt auf die Ökonomen, die auf ihren Veranstaltungen erklären, warum man so wie hier nicht leben kann und so wie dort nicht leben soll, denn, sagen sie, was machen wir sonst mit denen, die uns daran hindern, die kann man doch nicht im Stich lassen, die müssen wir doch nähren und erhalten, schließlich war das doch ihre Idee so zu leben, wie man nicht leben kann.

Eintrittskarten zu den Veranstaltungen der hervorragendsten Ökonomen sind nicht zu bekommen, wildes Gelächter herrscht. Das Publikum lacht schon nicht mehr über die Worte, sondern über die Zahlen.

„Soviel wie man einnimmt - soviel hat man auch Ausgaben. In den Geschäften gibt es nichts, in den Vorratslagern etwas für den Kriegsfall. Dann laßt uns doch nur schnell Krieg führen, sonst wird noch alles schlecht. Und daß niemand auf der Welt gefrorenes Fleisch ißt, außer uns und den Tieren im Zoo, obwohl Tiere ja eigentlich nicht essen, letztlich also bloß wir...“

Da denke ich eben: Vielleicht hält man uns als anschauliches Beispiel. Die ganze Welt schaut und zeigt mit dem Finger: „Seht ihr, Kinder, so kann man nicht leben.“ Aus dem Russischen

von Marie-Luise Bot

Diese Anekdote von Michail Schwanezkij, dem Leningrader Humoristen und Satiriker (geboren 1934 in Odessa), erschien im Januar 1989 in den 'Moskowskije nowosti‘.

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