: Unbekannte Männerberufe für Mädchen
■ Bremer IG-Metall-Frauen hatten eingeladen und dreihundert Schülerinnen aus Abgangsklassen waren gekommen Erste große Informationsveranstaltung über Männerberufe mit Ausbildern und BetriebsrätInnen
Ein neues Verfahren, um Mädchen für Männerberufe zu interessieren, haben sich Bremer IG-Metall-Frauen ausgedacht. Für gestern morgen um 9 Uhr bestellten sie Schülerinnen aus achten, neunten und zehnten Schuljahren nebst LehrerInnen ins DGB-Haus am Bahnhofsplatz. Innerhalb der nächsten drei Stunden konfrontierten sie die Mädchen Schlag auf Schlag mit Ausbildern und GewerkschafterInnen aus 15 Metallbetrieben sowie mit leibhaftigen „Energieanlagenelektronikerinnund „Werkstoffprüferinnen“.
Der Andrang der Schülerinnen war enorm, über dreihundert waren gekommen, die Sitzplätze reichten bei weitem nicht aus. Der Lärmpegel im Saal war entsprechend. Während sich vorne die RednerInnen mit kurz-gehaltenen Statements vorm Saalmikrophon abwechselten, tauschten die
Mädchen in den hinteren Reihen gehamsterte Cola-gegen Fanta -Flaschen aus.
Richtig hellhörig wurden die Schülerinnen erst bei den deutlichen Worten der Vertreterin der Gleichstellungsstelle, Barbara Loer: „Die meisten von Euch wissen nicht, was es alles für Berufe gibt. Und viele der Berufe, die ihr dann wählt, führen geradewegs in die Arbeitslosigkeit und da kommt ihr auch nicht wieder raus.“ Zu Anfang hatte schon Inge Lies von der IG-Metall den Mädchen, die bis jetzt noch davon träumen Modedesignerin zu werden, aufgelistet, in welchen typischen Frauenberufen sie höchstwahrscheinlich landen werden: Arzthelferin und Frisörin, Verkäuferin, Bürokauffrau und technische Zeichnerin. Und sie hatte den Mädchen die Vorteile eines gewerblich-technischen Berufes
aufgezählt: günstigere Arbeitszeiten (als etwa im Einzelhandel), mehr Geld (für Führerschein Reisen) sowie bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz: „Sonst könnt Ihr Euch ein Auto und Reisen nur mit einem Partner leisten. Als Arzthelferin bekommt Ihr 1.790 Mark brutto, im gewerblich -technischen Beruf kriegt Ihr mit Leistungszulagen 2.439 Mark.“
Bei Klöckner
keine Chance
Von den Ausbildern und BetriebsrätInnen, die sich vorne am Mikrophon abwechselten, erfuhren die Mädchen, soweit sie überhaupt zuhörten („das ist tötend langweilig“) männliche Berufsbezeichnungen en masse: „Industrie-und Automobilmechaniker“, „Kommunikationselektroniker und Zerspannungsmechaniker“, „Fluggerätebauer und Werkstoffprüfer“. Die Mädchen hörten auch, daß sie im Klöckner-Stahlwerk bisher noch keine Chance haben. Die Verantwortlichen, so ein Betriebsrat, würden heutzutage zwar nicht mehr mit „fehlenden Toiletten und Umkleideräumen“ argumentieren, dafür aber mit dem Argument: „Wir können Mädchen nicht in Nachtschicht arbeiten lassen“.
Die meisten RednerInnen ga
ben den Mädchen immerhin zwei praktische Ratschläge auf den Weg: Betriebspraktika in Metallbetrieben machen - und sich dort um einen Ausbildungsplatz be
werben. Doch daß es mit dem Bewerben allein nicht getan ist, konnten die Schülerinnen in anschließenden Gesprächen mit den Ausbildern erfahren. Der Vertre
ter von Daimler-Benz hatte etwa folgende Zahlen parat: immerhin 16,7 Prozent weibliche Bewerbungen, aber nur 6,9 Prozent Zusagen an Mädchen. 160 gewerblich-technische Azubis stellt Daimler pro Jahr ein, davon 1988 elf weiblichen Geschlechts - als „Feinblechnerinnen“ und als „Fahrzeugpolsterinnen“: Für das Jahr 1989 zeichne sich eine kleine Steigerung ab, unter den bisher 139 eingestellten Azubis seien bereits 12 Mädchen - und es seien noch Plätze frei. Eine Zehntklässlerin, die gerne Vespas und Schränke zusamen-und auseinanderbaut, nutzte die Gelegenheit, den Daimler-Ausbilder nach den Bewerbungsmodalitäten auszufragen.
„Es hat doch was gebracht“ - meinte zum Schluß eines der Mädchen, das zu Beginn „tötend gelangweilt“ war. Sie hatte sich von einer Daimler-Benz-Azubi die Arbeit erklären lassen: „So was mit Metallstücken-Fräsen. Aber mein Traumberuf ist immer noch Krankenschwester.“ Hat sie sich gemerkt, wie der komplizierte neue Beruf heißt? „Hm, nein“. Aber sie weiß noch, daß er was mit „Fräsen“ zu tun hat und eventuell eine Alternative zu „Krankenschwester“ wäre.
Barbara Debus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen