: Polizei säuberte Geiseldrama-Protokoll
■ Eklat im Geisel-Ausschuß: Innensenator übergab nur unvollständige Aufzeichnungen
Nach monatelanger Arbeit mußte Untersuchungsausschuß gestern feststellen, daß er noch immer nicht die vollständigen Polizei-Protokolle des Geiseldramas zur Verfügung hat. Sogar der SPD-Untersucher Koring empörte sich gestern so kräftig, daß er den Senat aufforderte, das „Bermuda-Dreieck Stadt und Polizeiamt endlich trockenzulegen“. Und Auschußvorsitzender Peter Kudella (CDU) glaubt inzwischen an „bösen Willen des Senats“, den er schließlich schon mehrmals aufgefordert hatte, ihm die vollständigen Unterlagen zur Verfügung zu Stellen. Kudella weiter: „Das ist eine Mißachtung des Parlaments.“
Als gestern der Leiter des Polizeiführungsstabes, Wilfried Spychala, vernommen wurde, zitierte er plötzlich aus einem Protokoll, das von den Unterlagen des Untersuchungsausschusses entscheidend abwich. In Spychalas Protokoll war für 18:50 Uhr ein Vorschlag des Führungsstab -Leiters verzeichnet, die Geiselgangster noch vor Kaperung des Linienbusses festzunehmen. In den Unterlagen des Untersuchungsausschusses findet sich unter 18:50 Uhr nur ein weißer Fleck.
Bei seinem Text handelt es sich laut Spychala um ein anhand eigener und fremder Notizen angefertigtes „erstes Verlaufsprotokoll“, das offiziell in den Geschäftsgang gegangen sei. Diesem Protokoll zufolge habe Spychala kurz vor der Kaperung des Bremer Linienbusses einen Zugriff auf die Geiselgangster vorgeschlagen. Sowohl der Polizeiführer Peter Möller als auch der im Lagezentrum anwesende damalige Innensenator Bernd Meyer hätten zustimmend genickt. Der Verbindungsbeamte des Sondereinsatzkommandos habe dies jedoch für zu riskant gehalten, sagte Spychala. Zu dem Zugriff auf die Geiselgangster kam es nicht.
Die Vernehmung im Untersuchungsausschuß wurde nach diesem Eklat gestern abgebrochen. Als weiterer Zeuge hätte noch Kripochef Peter Möller aussagen sollen. Diese Vernehmung wurde ebenso wie die des Führungsstab-Leiters Spychala vertagt. Der Ausschußvorsitzende Peter Kudella will zunächst prüfen, ob ihm noch weitere Passagen des Geiseldrama -Polizeiprotokolls vorenthalten worden sind. Wird ihm der vollständige Text nicht vom Innensenator Sakuth übermittelt, hat Spychala angeboten, ihn zur Verfügung zu stellen.
„Die Männerkumpanei in der Polizeiführung zerfällt“, freute sich das grüne Ausschußmitglied Martin Thomas über Spychalas Angebot, „bisher war es üblich, Informationen bewußt zurückzuhalten, um sich gegenseitig zu schützen.“ Der Grüne Thomas folgert aus der Unterlagen-Unterschlagung, daß in Bremen „keine demokratische Kontrolle der Polizei“ gibt.
Ase
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