: Tod an der Mauer?
■ Senat hat Verdachtsmomente, daß Anfang Februar ein DDR-Flüchtling von Grepos erschossen wurde
In West-Berlin verdichten sich Gerüchte, nach denen Anfang Februar ein 20jähriger DDR-Bürger bei seiner Flucht über die Mauer von DDR-Grenzsoldaten erschossen worden ist. Ein weiterer wurde offenbar schwer verletzt. Zwar bestehe noch keine endgültige Klarheit, hieß es gestern in der Pressestelle der Senatskanzlei, die Verdachtsmomente, daß in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar tödliche Schüsse fielen, hätten sich jedoch verstärkt. Die Ermittlungen der Westberliner Polizei dauerten an, hieß es weiter. Von der DDR-Nachrichtenagentur 'ADN‘ lag noch keine Stellungnahme vor.
Nach Informationen der Polizei handelt es sich bei dem Toten offenbar um den 20 Jahre alten Chris Gueffroy aus dem Ostberliner Bezirk Treptow. In einer am Dienstag veröffentlichten Traueranzeige in der (Ost-)„Berliner Zeitung“ heißt es, Gueffroy sei durch einen „tragischen Unglücksfall“ ums Leben gekommen. Gueffroy wird heute im Ostberliner Stadtteil Baumschulenweg beerdigt - ganz in der Nähe des Ortes, wo die Schüsse fielen. Die Ereignisse in der Nacht beschreiben Augenzeugen so: Nachdem ein DDR-Soldat „Stehenbleiben! Hinlegen!“ gerufen habe, seien etwa zehn Schüsse und eine rote Leuchtkugel von „Grepos“ abgefeuert worden. Ein Wachschutzmann, der für eine nahegelegene Westberliner Fabrik Dienst tut, äußerte gegenüber der „Arbeitsgemeinschaft 13. August“: „Ich habe gesehen, wie einer leblos am Boden lag, ungefähr 20 Minuten lang. Dann kam ein Bergungskommando. Die getroffene Person wurde weggeschleift.“
Erst in der vergangenen Woche hatte die spektakuläre Flucht dreier DDR-Bürger Schlagzeilen gemacht: Bei dem Versuch, die Spree in der Nähe des Reichstages zu durchschwimmen, wurde ein Flüchtling - kurz bevor er das Ufer erreichte - von der Besatzung eines DDR-Grenzschiffes gestellt. Der letzte tödliche „Grenzzwischenfall“ in Berlin ereignete sich vor rund zwei Jahren. Damals wurde der 28jährige Lutz Schmidt von DDR-Grenzbeamten umgebracht. Schmidt war Arbeiter im Ostberliner „VEB Autotrans“. Seinen KollegInnen teilte man mit, er sei an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben. Die Bundesregierung hat gestern gegen die Schüsse auf die Flüchtlinge bei der DDR protestiert. Auch die SPD verurteilte den Schußwaffengebrauch an der Mauer. Es sei nicht zu begreifen, daß Menschen in einer Zeit des neuen Denkens zwischen Ost und West sterben müßten, die das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nähmen.
taz/dpa
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