: „Jenseits der alten BI-Strukturen“
■ Der bürgerliche Teil der Startbahnbewegung sucht neue Aktionsformen / Alte Kern-BI: „Instrumentalisierung“
Nach den Todesschüssen an der Startbahn sei der Versuch gescheitert, zusammen mit den Autonomen eine Strategiedebatte zum weiteren Widerstand gegen den drohenden Ausbau des Rhein-Main-Flughafens zu führen. Der ehemalige BI -Sprecher (und Ex-Landtagsabgeordnete der Grünen) Dirk Treber hat wenige Tage vor Beginn des „Startbahnprozesses“ in einem Gespräch mit der taz einen „Bruch“ zwischen dem eher bürgerlichen Lager der StartbahngegnerInnen und dem autonomen Spektrum konstatiert.
Dieser Bruch habe sich schon weit vor den Todesschüssen abgezeichet und sei nach diesem „unglaublichen Ereignis im Startbahnwald“ ein Fakt. Treber: „Mit diesen Schüssen hat der bürgerliche Teil der Bewegung absolut nichts zu tun. Alle Debatten im autonomen Lager um vermeintlichen oder tatsächlichen 'Verrat‘ tangieren die Menschen in Mörfelden -Walldorf nur am Rande - von Ausnahmen abgesehen, die das familiäre Umfeld von Frank Hoffmann betreffen.“
Jetzt suchen die BürgerInnen, die nur noch vereinzelt als „SonntagsspaziergängerInnen“ an der Startbahn anzutreffen sind, nach neuen Organisationszusammenhängen - „jenseits der alten BI-Strukturen“, wie Treber sagt.
Unter dem Arbeitstitel „Flughafenausbau 2000“ haben der BUND, der „Förderkreis Hüttenkirche“ und die „Interessengemeinschaft gegen den Fluglärm“, die noch in der Zeit vor den Schüssen mit Teilen ihrer Mitglieder in der sogenannten „Kern-BI“ vertreten waren, diverse Veranstaltungen organisiert und gemeinsam Presseerklärungen verfaßt. Auch die Grünen und die in Mörfelden traditionell stark vertretenen Realsozialisten der DKP unterstützen diesen Zusammenschluß, der nach den hessischen Kommunalwahlen vom 12.März die kommenden Aktionen gegen die Flughafenerweiterung koordinieren soll - „als eine neue Art Bürgerinitiative“.
Die Exponenten des bürgerlichen Flügels der ehemaligen Startbahnbewegung, etwa der Rüsselsheimer Professor R.Denk oder der BUND-Vorsitzende von Mörfelden-Walldorf, Walter Raiss, warten auf den Generalausbauplan für den Flughafen, der im April von der Frankfurter Flughafen AG (FAG) der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Die „Kern-BI“ in Mörfelden mit ihrer Sprecherin Helga Arnold argumentierte auf einem Vorbereitungstreffen der bürgerlichen Gruppierungen vehement gegen die „neuen Arbeitszusammenhänge“: Die „Bürgers“ - so die Vorwürfe würden sich vor allem von den Grünen „instrumentalisieren“ und politisch „einspannen“ lassen.
Zu den „Sonntagsspaziergängen“ wird seit den Todesschüssen zwar nicht mehr speziell aufgerufen, doch noch immer finden sich an der Startbahn Menschen zum stummen Protest gegen die Betonpiste im Mönchbruchwald ein. Die hessische Polizei spricht mittlerweile von „relativer Ruhe“ vor Ort, denn seit dem 2.11.87 kam es am ( von allen so genannten) „Chaoten -Eck“ zu keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen mehr. Wo früher hunderte von Polizeibeamten Wache schoben, patrouillert heute nur noch eine kleine motorisierte Einsatzgruppe in und vor dem betonumfriedeten Gelände.
Der autonome Teil der Bewegung ist nur noch sporadisch an der Startbahn präsent, auch wenn das „Chaoten-Eck“ noch immer der Ort sein soll, an dem „die verschiedenen politischen Strömungen miteinander reden“ könnten (so das Frankfurter „Libertäre Zentrum“). Doch immer mehr spricht dafür, daß die „Bürgers“ mit den Autonomen nicht mehr reden wollen. Die Schüsse auf die Polizisten haben also auch die größte Bürgerbewegung getroffen, die in der Bundesrepublik bislang gegen ein einzelnes Projekt angetreten war. Eine Wiederauferstehung der alten Bürgerinitiative gegen die Startbahn West ist jedenfalls - angesichts der divergierenden Entwicklungen - kaum noch möglich. requiescat in pace.
Klaus-Peter Klingelschmitt
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