: Drei Viertel aller LehrerInnen streikten
■ GEW freut sich über 5.000 KollegInnen auf der Straße / Viele Schulen ganz geschlossen / SchülerInnen unterstützten Streik / Arbeitszeitverkürzung und neue Stellen erst im März auf der Senats-Tagesordnung
Unter roten und gelben Girlanden startete gestern in einem Festzelt der bisher größte LehrerInnen-Streik im Lande Bremen. Rund 5.000 PaukerInnen hatten sich auf der Bürgerweide versammelt, bei einer Kundgebung in Bremerhaven waren 400 auf den Beinen - drei Viertel aller PaukerInnen im
Zwei-Städte-Staat.
„Wir streiken heute, weil wir unsere arbeitslosen KollegInnen nicht im Regen stehenlassen wollen“, rief Bremens GEW-Vorsitzender Rainer Baltschun unter dem Beifall der dichtgedrängten angestellten und beamteten LehrerInnen aus. Sie protestierten ge
gen den „Tarifbetrug“ von Bildungssenator Horst-Werner Franke. Der hatte im März '88 mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eine Tariferhöhung von nur 1,7 Prozent und eine Arbeitszeitverkürzung von einer Stunde pro Woche vereinbart. Weitere zwei Prozent sollten für
die Einstellung von 200 arbeitslosen LehrerInnen ausgegeben werden. Bis heute liegen weder in Sachen Neueinstellungen noch bei der Arbeitszeitverkürzung Vorschläge aus dem Hause Franke vor. „Beamten- und finanzpolitische Willkür“ nannte der GEW-Bundesvorsitzende Dieter Wunder Frankes Politik auf der Streikversammlung.
Daß die Solidarität mit den arbeitslosen KollegInnen und die Wut über den senatorischen Wortbruch so viele bestallte LehrerInnen die Kreide aus der Hand legen ließ, überraschte die Streikenden selbst. „Vor drei Monaten hat kaum jemand geglaubt, daß unsere Forderungen auf soviel Unterstützung stoßen würden“, meinte Holger Möller vom Schulzentrum Walliser Straße in Osterholz-Tenever. Denn nicht einmal die Hälfte der Bremer LehrerInnen ist in der GEW organisiert.
Tatsächlich waren gestern keineswegs nur die einschlägig beleumundeten Gesamtschulen dicht, sondern auch kleinere Schulen. „Bei uns gibt es nur einen Notdienst“, berichtete Kurt Neukirch von der Grund-und Sonderschule Leher Feld. Und sein Kollege Holger Möller: „Als wir heute morgen von der Schule weggefahren sind, sind nur ein paar versprengte Schüler rumgelaufen.“ Gisela Heilbronn vom Sekundarstufen-I -Zentrum in der Kornstraße bemerkte, daß auch etliche LehrerInnen mitstreikten, die nicht in der GEW sind. „So wie das hier läuft“, freute sich ihre Kollegin Ulrike Rochell,
„war das nur der erste Schritt, wenn Franke sich nicht rührt.“ Eine „explosive Stimmung“ hat auch Jürgen Hohmann an der Gesamtschule West ausgemacht. Er würde auch für Neueinstellungen ohne Arbeitszeitverkürzungen streiken, sagte ein Lehrer, obwohl er selbst nach dem Studium gleich eine Stelle bekommen hatte.
An verschiedenen Schulen unterstützten die SchülerInnen den Streik ihrer LehrerInnen. Am Gymnasium Barkhof versperrten die SchülerInnen den Eingang mit einer schwarzen Plane und versammelten sich vor der Schule. Im Schulzentrum Holter Feld hatten einige SchülerInnen sogar ihr Nachtlager als Streikposten aufgeschlagen. Die Gesamtschülervertretung stellte klar, daß die Ausbildung „nicht durch den Streik, sondern durch Unterrichtsausfall und einen teilweise „veralteten“ Lehrkörper“ gefährdet sei. Zur Abschlußkundgebung des eintägigen Streiks auf dem Markplatz fanden sich Gruppen von SchülerInnen ein.
Die Bildungsbehörde wurde von der Wucht der Ereignisse offenbar überrollt. Sie hatte um 15 Uhr noch keinen Überblick über die bestreikten Schulen. Neues konnte Pressesprecherin Gerlinde Wiegand auch in der Sache nicht mitteilen. Die „Lehrerarbeitszeit“ stehe im März auf der Tagesordnung des Senats. Ob unter diesem Tagesordnungspunkt auch die Neueinstellungen verhandelt werden, vermochte sie nicht sagen.
Gaby Mayr / oma
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen