: In Polen, Ungarn und der DDR: Proteste gegen Havel-Urteil
Berlin (taz) - Ihren Augen wollten die Premierenbesucher zweier Stücke von Vaclav Havel im Warschauer Volkstheater am Samstag abend nicht trauen: der polnische Regierungschef Mieczyslaw Rakowski hatte im überfüllten Saal Platz genommen, um zwei Stücke des am letzten Dienstag zu neun Monaten verschärfter Haft verurteilten tschechoslowakischen Dramatikers zu sehen. Erst als nach der Aufführung der beiden Einakter Audienz und Protest Adam Michnik, der politische Theoretiker der Opposition, auf die Bühne kletterte und die Freilassung Havels und seiner Freunde forderte, verließ der Ministerpräsident den Saal.
Nachdem schon in der vorigen Woche der ungarische Schriftstellerverband offiziell protestiert hatte, zogen nun die polnischen Kollegen nach. Die polnische Sektion des PEN -Clubs appellierte an den CSSR-Staatspräsidenten, sich für die Freilassung der Verurteilten einzusetzen. Auch in Wroclaw (Breslau) und Krakau kam es zu scharfen Protesten der Solidarnosc gegen die Urteile von Prag.
Schon vor den Urteilen hatten 19 DDR-Oppositionsgruppen sich mit Havel und seinen Freunden in einem Brief an Premierminister Adamec solidarisiert. In dem u.a. von der „Umweltbibliothek“, den „Gegenstimmen“, der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ und der „Initiativgruppe Gerechtigkeit“ in Leipzig unterzeichneten Schreiben werden die über 2.100 Unterschriften von tschechoslowakischen „Kulturschaffenden“ gegen die Prozesse hervorgehoben. Am Wochenende forderten auch Bärbel Bohley (Frieden und Menschenrechte) und Katja Havemann die Rücknahme der Urteile.
Als „eklatanten Verstoß gegen die Menschenrechte“ werteten am Freitag in Wien 150 DemonstrantInnen die Ereignisse in Prag und protestierten gegen die „Verleumdungskampagne gegen CSSR-Oppositionelle“ seitens der CSSR-Regierung. Die Berliner Gruppe „Ost-West-Dialog“ forderte dazu auf, Protestbriefe an die West-Berliner Militärmission der CSSR zu schicken. Und die deutsch-tschechoslowakische Parlamentariergruppe des Bundestages sandte einen geharnischten Protestbrief an die Abgeordneten des CSSR -Parlaments.
Den Schlingerkurs der CSSR-Führung zeichnet aus, daß am Samstag erstmals die im vergangenen Jahr gegründete „unabhängige Friedensbewegung“ eine öffentliche Diskussion veranstalten konnte. Seit vergangenen Oktober sitzen drei ihrer Mitglieder in Haft. Rund 250 Personen diskutierten in einem Prager Restaurant über Kriegsdienstverweigerung und Menschenrechtsfragen. Auch Vertreter des offiziellen Sozialistischen Jugendverbandes durften an der Diskussion teilnehmen.
Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen