: Bedenklich
Zum Demokratieverständnis der neuen Mehrheit ■ K O M M E N T A R
Der Gedanke, daß ein Jürgen Wohlrabe Parlamentspräsident sein wird oder daß Republikaner fast Beisitzer im Präsidium des Abgeordnetenhauses geworden wären, ist sicherlich kein beruhigender. Letzteres wird nun nicht passieren. Trotzdem bedenklich stimmen muß, wenn Parteien, die leidvolle Erfahrungen damit haben, wie man mittels parlamentarischer Mehrheitsbeschlüsse nicht genehme Fraktionen ausschließen kann, dem dann unumwunden zustimmen, wenn es ihnen politisch paßt. Bei der geplanten Reduzierung des Präsidiums ist nun also offensichtlich, daß der Ausschluß der Rechten mehr ist als nur ein hingenommener Nebeneffekt. Die Methode, Spielregeln per Mehrheitsbeschluß zu ändern, wenn man jemanden draußen vor lassen möchte, ist ja in Berlin nicht neu. Nur traf sie in der Vergangenheit stets die AL. Aus der Parlamentarischen Kontrollkommission zum Verfassungsschutz wurden die Alternativen zum Beispiel durch den Trick der numerischen Beschränkung ausgeschlossen. Sie forderte lauthals und zu Recht die Stärkung der Rechte der Opposition.
Doch nun, da sich die politische Situation geändert hat, scheint sich niemand mehr der Worte von gestern zu erinnern, sondern aus Opportunitätsgründen das Fähnchen nach dem Wind zu hängen. Den Wilmersdorfer CDU-Bürgermeister Horst Dohm beispielsweise wollen AL und SPD nun ihrerseits nicht wählen, obwohl die CDU das Vorschlagsrecht hat. In Zehlendorf suchen sich SPD, WUB und AL ein anderes Zählverfahren und machen damit der CDU einen Stadtratsposten abspenstig. Im gleichen Atemzug argumentieren sie jedoch, daß andere Bezirke besagtes Zählverfahren ja nicht anzuwenden bräuchten, wenn dadurch ein Republikaner Stadtrat werden könnte.
Sowenig einem ein Herr Wohlrabe oder die Republikaner passen mögen: es ist weder demokratisch, noch legitim oder politisch klug, parlamentarische Spielregeln zur Sicherung von Minderheitsrechten nach dem Opportunitätsprinzip zur Disposition zu stellen.
Rita Hermanns
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