: Quo vadis, Walter
Die neue Hinhaltetaktik der Berliner SPD ■ K O M M E N T A R E
Die Reisen Berliner Politiker in die Bundeshauptstadt scheinen unter keinem guten Stern zu stehen. Nach dem Querschläger der AL-Vorständler vor zehn Tagen benutzte nun Berlins SPD-Chef Momper den Bonner Resonanzboden, um bundesweit seine Zweifel an der AL in die Schlagzeilen zu bringen. Genauso wie vordem die SPD ist es nun an der AL, sich zu fragen, was Momper eigentlich will. Die Fragen nach der Zuverlässigkeit der Sozialdemokraten nähren sich aber nicht nur aus dem Momper-Auftritt in Bonn - seit Sonntag legt die SPD am Verhandlungstisch den Rückwärtsgang ein. Längst abgemacht geglaubte Vereinbarungen werden wieder in Frage gestellt, in anderen wichtigen Bereichen wie zum Beispiel innere Sicherheit wird nur noch gemauert. In vielen Bereichen mag die SPD zurecht darauf verweisen, daß AL -Forderungen schlicht nicht finanzierbar seien. Doch damit ist der neue Stil nicht zu rechtfertigen. Immer häufiger zieht die SPD sich hinter Ausflüchte zurück, wie: das sei der eigenen Klientel, oder, nebulöser noch, der Mehrheit der Bevölkerung nicht vermittelbar.
Gerade Momper hat in den ersten zwei Wochen nach der Wahl keine Gelegenheit ausgelassen, um zu betonen, politische Entscheidungen dürfe man nicht von Stimmungen abhängig machen. Ging es damals noch darum, sich innerparteilich die Option einer großen Koalition offenzuhalten, so wäre es nun mit denselben Argumenten an der Zeit, für die Perspektive Rot-Grün offensiv einzutreten. Angesichts einer weitgehend durch die Springer-Presse dominierten öffentlichen Meinung kann es Momper und sein Schattenkabinett eigentlich nicht überraschen, daß sie in Diskussionen auf der Straße mit heftiger Kritik konfrontiert werden. Stimmungen werden nicht zuletzt dadurch gemacht, daß man klar zu erkennen gibt, was man selbst will. Mit einer SPD, die glaubt, Beifall in der Bevölkerung nur dadurch zu erhalten, daß sie ihren potentiellen Koalitionspartner versucht auf Null zu bringen, ist schwerlich konstruktiv zu verhandeln. Mit einer Partei, die nach zwei Wochen konservativer Gegenpropaganda bereits in die Knie geht, ist aber auch schwerlich Staat zu machen.
Jürgen Gottschlich
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