Bespitzelung bis in die Reihen der CDU

■ Wolfgang Wieland, bisher Fraktionsvorsitzender der AL und Mitglied des Untersuchungsausschusses, zu den Konsequenzen, die aus der Ausschußarbeit zu ziehen wären / In den bis jetzt behandelten Komplexen sind so gut wie alle Vorwürfe bestätigt worden / Fortsetzung des Gremiums in der neuen Legislaturperiode

I N T E R V I E W

taz: Du hast mit den Vertretern der SPD die letzte Sitzung des Untersuchungsausschusses verlassen und dem Innensenator Kewenig „Obstruktionspolitik“ vorgeworfen.

Wolfgang Wieland: Kewenig hat sich wieder einmal weit aus dem Fenster gehängt und behauptet, es habe nie den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gegen die taz gegeben. Es habe insbesondere nie ein V-Mann in der Redaktion gesessen und dort gearbeitet. Nun haben wir im Verlaufe der Ausschußarbeit aber in den Akten mannigfaltige Hinweise auf V-Mann-Einsätze gefunden. Noch bevor der Ausschuß überhaupt seine Arbeit aufgenommen hat, hatten wir schon gezielte Informationen über diese V-Leute. Das wollten wir natürlich vordringlich aufklären. Aber immer wenn die Frage V-Mann -Einsatz auftauchte, zogen die Zeugen ihre eingeschräkte Aussagegenehmigung aus der Tasche. Der Ausschußvorsitzende Finkelnburg hat diese Vorgehensweise auch noch gedeckt. Wir hatten keine andere Möglichkeit, also haben wir gesagt: „Verarschen können wir uns selber.“

Nach 15 Sitzungstagen: Wie fällt dein generelles Urteil aus?

Der Ausschuß hat entgegen aller Skepsis einiges zu Tage gebracht, an dem niemand vorbei kann. Alle Beobachter müssen zugeben, daß hier ein Augiasstall in der Landschaft steht, der ausgemistet werden muß. Die einzelnen Schlußfolgerungen der Fraktionen fallen natürlich unterschiedlich aus. Aber selbst die CDU ist inzwischen gezwungen, von „rechtsstaatlichen Korsettstangen“ zu sprechen, die diesem Amt eingezogen werden müßten.

Und der Ausschuß hat bis jetzt nur einen Bruchteil seines Auftrags erfüllen können. So ist die ganze Frage der Bespitzelung von Abgeordneten noch gar nicht auf die Tagesordnung gekommen. Gleiches gilt für die Bespitzelung von Rechtsanwälten, Richtern und Staatsanwälten. Die Fortführung des Ausschusses in der nächsten Legislaturperiode verspricht deshalb sehr spannend zu werden.

Eine Liste der überwachten Abgeordneten haben wir bereits gesehen. Und ohne daß ich dazu Näheres aussagen darf - aus Gründen der Geheimhaltungspflicht -, kann ich meine These, daß der Verfassungsschutz alles beobachtet, was sich links der CDU organisiert und den Mund aufmacht, nicht mehr aufrechterhalten. Selbst die Einschränkung „links von der CDU“ ist falsch.

Welche Konsequenzen müßten denn aus den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses gezogen werden?

Wir wollen die Nullösung, die Abschaffung dieses Landesamtes. Dies werden wir in den gerade anstehenden Verhandlungen mit der SPD aber nicht durchsetzten können. Einigkeit besteht insoweit, daß die ganze Extremismusbeobachtung aufhören muß. Unser Vorschlag ist, in diesem Bereich auf das Anlegen und Sammeln von personenbezogenen Dateien zu verzichten und den Nachrichtendienst wirklich als Nachrichtendienst zu benutzen, der gegen Bestrebungen und nicht gegen Personen gerichtet ist; bei dem auch bestimmte Personenmerkmale nicht mehr abrufbar sind.

Die SPD beharrt im Moment noch darauf, daß in dem Bereich, wie sie es nennt, „ganz rechts und ganz links“ eine nachrichtendienstliche Beobachtung notwendig bleibt. Wir sehen das anders, und darüber wird zur Zeit verhandelt. Einig ist man sich jedenfalls soweit, daß zumindest das Personal des Landesamtes radikal, wenigstens um die Hälfte, abgespeckt werden muß.

SPD und AL stimmen auch darin überein, daß die Bürgerinnen und Bürger über ihre Dossiers und Akten informiert werden müssen. Wahlweise sollte man sie ihnen zuschicken oder den Betroffenen die Gelegenheit geben, sie beim Landesamt abzuholen. Das wäre eine symbolische Geste, um zu zeigen, daß es den alten Verfassungsschutz, dieses Instrument der Massenüberwachung, nicht mehr gibt.

Am 2.März beginnt die neue Legislaturperiode. Ist dann überhaupt gewährleistet, daß die Akten im Landesamt noch vorhanden sind? Gerüchten zufolge wird der Reißwolf schon zwei Wochen kräftig gefüttert.

Der Reißwolf wurde in der Vergangenheit immer dann bedient, wenn es brenzlig wurde. So wurden Fluchthilfeunterlagen vernichet, die CDU-Politiker betrafen. Und es werden jetzt sicher auch Unterlagen vernichtet.

Aber wir haben von Mitarbeitern des Amtes gehört, daß sie weil sie diese Masche schon kennen - dafür Vorsorge getroffen haben: Interessante und brisante Aktenbestandteile hätten sie sicher verwahrt. Im übrigen wären die Mitarbeiter auch in der Lage, aus dem Gedächtnis heraus zur Rekonstrukion von vernichteten Akten beizutragen.

Wo werden die Schwerpunkte des nächsten Untersuchungsausschusses liegen?

Es zeichnet sich ab, daß es einen separaten Ausschuß zum Schücker-Komplex geben wird. Der wird notwendig sein, um das gesamte Zusammenspiel von Nachrichtendienst, polizeilichem Staatsschutz und Staatsanwaltschaft aufzuzeigen, vor allem die Außensteuerung der Justiz in nunmehr drei Hauptverhandlungen. Es hat sich auch der Verdacht erhärtet, daß in einem Anwaltsbüro ein Spitzel des Verfassungsschutzes gesessen und gearbeitet hat. Dieser Verdacht ist so ungeheuerlich, daß dem in der Form eines eigenen Ausschusses nachgegangen werden soll.

Der bisherige Ausschuß wird aber auch weiterlaufen müssen. Dabei gibt es einen Plan, den die SPD-Mitglieder entwickelt haben. Er besagt, daß in Zukunft der Rest-Verfassungsschutz durch einen öffentlich tagenden Sicherheitsausschuß kontrolliert werden soll. Dieser soll das Recht bekommen, sich ähnlich wie der Verteidigungsausschuß im Bundestag jederzeit selbst als Untersuchungsausschuß zu konstituieren.

Das wäre vom Modell her die weitestgehende Transparenz und die weitestgehende Kontrolle, die parlamentarisch zu leisten ist. Wenn es einen solchen Ausschuß geben wird, dann wird auch der Verfassungsschutz seinen Geheimdienstcharakter weitgehend verlieren.

Er wird dann mehr ein Institut zur Beobachtung von Bestrebungen, ein Institut zur Politikberatung, das wir nach wie vor für überflüssig halten, das dann aber den Charakter eines gezähmten Tigers haben wird und das nicht mehr in der bisherigen Weise politischen Flurschaden anrichten kann.

Interview: Wolfgang Gast