: Die unveröffentlichte Geschichte der taz
Der Berliner Untersuchungsausschuß zum Verfassungsschutz hat die Bespitzelung der taz seit ihrer Gründung bestätigt / Ungeklärt bleibt nach wie vor der Einsatz von V-Leuten ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) - Die Skandalchronik des Berliner Verfassungsschutzes (VfS) liegt über weite Teile immer noch im dunklen. Der parlamentarische Ausschuß, eingesetzt, um „mögliche Fehlentwicklungen beim Berliner Landesamt“ zu untersuchen, beendete mit der Legislaturperiode am 2.März seine Arbeit. Er konnte lediglich einen Bruchteil der von SPD und AL aufgelisteten Skandale ausloten.
Bis zur Wahl am 29.Januar hatte der Ausschußvorsitzende Finkelnburg (CDU) in mühevoller Kleinarbeit an der Aufklärung der Vorwürfe mitgewirkt - danach schien sein Interesse abrupt zusammengebrochen zu sein. In der Folge schlug er sich mehr oder weniger auf die Seite der gebeutelten VfS-Verantwortlichen. Und deren Verweigerungsstrategie und „Informationssperre gegen den Ausschuß“ (AL-Ausschußmitglied Wieland) ließ er im parlamentarischen Kontrollgremium widerstandlos durchgehen. Am 15. und letzten Sitzungstag kam es schließlich zum Eklat. Die Vertreter von AL und SPD sahen in dem Verhalten des scheidenden Innensenators Wilhelm Kewenig eine lupenreine „Obstruktionspolitik“ und zogen aus dem Ausschuß aus. Finkelnburg nahm dies zum Anlaß, einen Abschlußbericht des Ausschusses für überflüssig zu erklären, da die Fraktionen sich auf keine gemeinsame Version einigen könnten.
V-Leute in der taz
Statt dessen resümierte Finkelnburg am 21.Februar vor versammelter Presse in seinem Schlußwort: „Zu keinem Zeitpunkt hat eine Person, die in der taz beschäftigt war, irgendwie für den Verfassungsschutz gearbeitet.“ Den Beteuerungen Finkelnburgs will aber kaum einer mehr Glauben schenken. So hatte der für den VfS zuständige Staatssekretät Wolfgang Müllenbrock in einer früheren Sitzung als Zeuge einräumen müssen, daß Pläne für „operative Maßnahmen“ gegen die taz an ihn herangetragen wurden. Wie Müllenbrock erklärte jetzt Finkelnburg, daß diese Überlegungen „nach kurzer Zeit verworfen“ worden seien. Der eidesstattlichen Aussage des Staatssekretärs steht aber eine Fülle von Hinweisen in den Akten entgegen, die eine Einschleusung von V-Leuten in die taz belegen. Danach wurde die Ausforschung der taz im großen Maßstab betrieben. Schon in der Gründungsphase des Projektes, von 1977 bis 1979, behaupteten die VfSler den „Vedacht“, die Zeitung könnte extremistische Tendenzen verfolgen.
Eine „Sachakte taz“ wurde angelegt, und in verschiedenen westdeutschen taz-Initiativen wurden V-Leute eingeschleust. Außer dem Berliner Landesamt, der Kölner Zentrale und anderen Landesämtern zeigte sogar der Militärische Abschirmdienst (MAD) Interesse an dem neuen Zeitungsprojekt. Laut einem Aktenvermerk von 1979 fragte der MAD bei den Berliner Kollegen an, was man von dem Projekt eigentlich halten solle.
Der peinlich genau beobachteten Gründung folgte in den Jahren 1979 bis 1982 die Hochphase der Überwachung. Flächendeckend wurden Artikel ausgewertet, über Mitarbeiter Personalakten angelegt und deren Daten in die Hinweisdatei „Nadis“ eingegeben. Die Verfassungsschützer schreckten nicht einmal vor einem Bruch des Redaktionsgeheimnisses zurück. So übermittelte im Sommer 1980 das bayerische Landesamt ein Protokoll an die Berliner Kollegen. Inhalt: die Interna aus einer Redaktionssitzung der Inlandsredaktion, an der vier oder fünf Zeitungsmacher teilgenommen hatten.
Ausgespäht wurden aber auch die Mitglieder des Fördervereins „Freunde der alternativen Tageszeitung“. Sie wurden Objekte des VfS, weil sich der auch für die ökonomische Seite des Projektes interessiert zeigte. Hinweise in den Unterlagen des Ausschusses stärken auch die Vermutung, daß es außer einer „Sachakte taz“ eine „Akte taz -Verein“ geben muß.
Und aus dem Technikbereich des Projektes berichtete 1982 in einen siebenseitigen handgeschriebenen Vermerk der V-Mann Norbert Leander Hermsdorf (Deckname „Schreiber“), wer wann und wem in den Redaktionsräumen Haschisch zum Verkauf angeboten haben soll. Reichlich dubios nannte Hermsdorf dem Amt fünf Anbieter, aber nur einen Käufer. Und offenbar traute die CDU-Führungsriege des Amtes nicht einmal den eigenen Mitarbeitern. Kaum anders ist ein Vermerk zu erklären, in dem sämtliche an der „Operation taz“ beteiligten Mitarbeiter für den zuständigen Staatssekretär aufgelistet werden. Eigens aufgeführt wird die SPD -Mitgliedschaft bei den einzelnen Beamten.
22 Mitarbeiter haben die Ausschußmitglieder in den Akten des Untersuchungsausschusses gezählt, die einzig aus dem Umstand, daß sie in dem Projekt taz mitgearbeitet haben, zum Objekt des VfS wurden - Journalisten, Karrikaturisten und Fotografen, darunter sogar Mitarbeiter aus den taz -Druckereien. Der Hochphase der Bespitzelung folgte die der Routine. Und wie in den Jahren zuvor war nicht nur die Berliner Lauschzentrale bis 1984 an der Bespitzelung beteiligt. Im Kölner Bundesamt stand die taz ebenso regelmäßig auf der Tagesordung wie bei den verschiedenen Landesämtern.
Abklingphase 1984
In den Jahren nach 1984 soll die breit angelegte Überwachung in einer „Abklingphase“ (Ausschußmitglied Wieland) nach und nach eingestellt worden sein. Die taz habe 1985 aufgehört, „ein Verdachtsfall“ zu sein, urteilte der Ausschußvorsitzende Finkelnburg. Von 1985 bis 1988 wurden den über 30 Bänden der „Sachakte taz“ aber dennoch zwei weitere Aktenordner angefügt. Für Finkelnburg geht das auf das Konto „eines übereifrigen Mitarbeiters“, der obendrein „völlig überflüssiges Material“ abgeheftet haben soll.
Alternative Liste und SPD haben angekündigt, den Untersuchungsausschuß in der neuen Legislaturperiode fortführen zu wollen. Ein zweiter Ausschuß soll parallel die tödlichen Verstrickungen des Berliner Landesamtes in den Mordfall Schmücker aufklären. Ein neuer Senat in Berlin könnte dem Dampfkessel Landesamt mit seinen inneren Querelen endlich zur Explosion verhelfen.
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