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„In Kosovo hat die Konterrevolution drei Köpfe“

Belgrad unterstellt den Kosovo-Albanern Geheimplan für bewaffneten Aufstand / Zwei tote Albaner in Serbien  ■  Aus Pristina Erich Rathfelder

Noch ist alles ruhig in Pristina, der Hauptstadt Kosovos, der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz im Süden Jugoslawiens. An den neuralgischen Punkten der Stadt, auf dem Flanierboulevard Titova und vor den supermodernen futuristisch anmutenden Gebäuden der Staatsverwaltung, der Universität und ihrer Bibliothek, sind auffällig viele Soldaten aufgezogen. Seit Mittwoch abend herrscht Versammlungsverbot. Hunderte von „Geheimpolizisten“ bevölkern die Gehsteige, die nach den heftigen Schnee- und Regenfällen von Wasserpfützen übersät sind. Die Panzer, die an den Vortagen durch die Stadt rollten, sind in die riesige Kaserne am Stadtrand zurückgezogen. Für wie lange weiß niemand.

Ausgelöst wurde die extreme Spannung durch die von der serbischen Parteiführung geführte Verfassungskampagne. Serbien, dem die Provinz Kosovo angehört, will die den Albanern im Autonomiestatut zugestandenen und in der Verfassung von 1974 verbürgten Rechte wieder aufheben. So hat die serbische Parteiführung klipp und klar erklärt, daß Serbisch wieder Amtssprache in Kosovo werden soll. Zudem soll die kyrillische Schrift eingeführt werden. Ein Schlag für die Albaner, die sich in ihrer kulturellen Identität bedroht sehen.

„Konterrevolution“

Hinter den Kulissen knistert es. Die Parteiführung in Kosovo steht vor einer Zerreißprobe. Seit Tagen angesetzte Pressekonferenzen werden abgesagt. Gerüchte jagen sich. Der vor zwei Monaten unter dem Druck der serbischen Partei abgesetzte Parteichef Azem Vlasi soll sich bereits in Haft befinden. Der Altfunktionär Fadilij Hodscha soll sogar nach Albanien geflohen sein.

Aus Belgrad kommen scharfe Töne, und diesmal nicht nur von der serbischen Partei- und Staatsführung, sondern auch von den Bundesinstanzen. Lazar Mojsov, der Vertreter Mazedoniens im Staatspräsidium, referierte gestern über die Lage in Kosovo und machte dabei amtlich, was bisher so nur die serbische Parteiführung offiziell ausdrückte. Bei den Ereignissen in Kosovo handele es sich um eine „Konterrevolution“. Die albanischen Nationalisten strebten ein „ethnisch reines Kosovo“ an. Die angebliche Forderung nach einer eigenen Republik sei die Vorstufe für die Vereinigung mit Albanien zu einem großalbanischen Staat. Die Integrität Jugoslawiens sei also bedroht.

Die „Konterrevolution“, so Lazar Mojsov, habe drei Köpfe: den Geheimdienst der Republik Albanien, die albanische Emigration im Ausland und Teile der Partei Kosovos. Die gesamte Aktion werde von Albanien aus koordiniert. Am 25.Februar sei ein Geheimplan der Albaner entdeckt worden, der drei Phasen der Aktion vorsehe: Erstens soll mit einem Generalstreik das öffentliche Leben lahmgelegt werden. Zweitens solle durch Diskussionen und Volksversammlungen in der Provinz die Stimmung für eine Mobilisierung entstehen. Drittens soll ein bewaffneter Aufstand wie 1981 stattfinden. „Wir können nur durch die Gewehre sprechen“, zitierte Mojsov aus dem angeblichen Papier. Die Konsequenz jedoch zieht er selbst: Entweder gewinnt der Bund der Kommunisten Jugoslawiens die Herzen der Kosovo-Albaner - was unwahrscheinlich ist - oder das Militär muß intervenieren.

Stari Trg

ein Symbol

Was brachte die Stimmung zum Siedepunkt, so daß jetzt mit dem Schlimmsten gerechnet werden muß? Waren es die Arbeiter aus den Blei- und Zinkgruben von Stari Trg und Trepca, die mit ihrem Hungerstreik die gesamte albanische Bevölkerung mobilisiert und zu einem Generalstreik motiviert haben? Oder war es die serbische nationalistische Kampagne, die seit Wochen die Gegenwehr der Kosovo-Albaner herausfordert?

Sie sind nicht irgendwer, die Arbeiter von Stari Trg. Sie haben einen guten Namen in Jugoslawien. Hier wurden im Kampf gegen die sowjetische Besatzungsmacht die ersten Dynamitstangen gezündet. Die Wiege des Partisanenkampfes hat auch in den letzten Tagen Zeichen gesetzt. Die beispiellose Besetzung des Bergwerks und der Hungerstreik sind sofort als ein Signal für den Widerstand der albanischen Bevölkerung gegen großserbische Ambitionen verstanden worden. Am Mittwoch war es wieder ruhig in Stari Trg. Doch die Produktion steht weiter still. Die Straße nach Trepca ist trotz anderslautender Gerüchte nicht abgesperrt. Nur einige Polizisten führen Kontrollen durch.

„Serbenknechte“

„Wir dürfen niemandem etwas sagen“, erklärt ein Arbeiter, dessen Gesicht noch durch den Hungerstreik gezeichnet ist. Er wolle eigentlich schon, aber es sei beschlossen worden, nichts mehr nach außen dringen zu lassen. Auch die anderen Männer in den Cafes und Restaurants von Trepca lassen sich auf Gespräche nicht mehr ein. Denn auch hier weiß man nicht, ob die Panzer doch noch rollen werden. Und ungewiß ist auch, ob ihre Forderungen tatsächlich erfüllt wurden. Niemand weiß genau, ob die „Serbenknechte“, die albanischen „Erfüllungsgehilfen“ der serbischen Politik“, Rahman Morina, Hasamedin Azemi und Ali Sukrija tatsächlich zurückgetreten sind. Der Rücktritt dieser drei Spitzenpolitiker des Kosovo war von den Streikenden gefordert und dann am Montag offiziell bekanntgegeben worden. Das Dekret, mit dem am Mittwoch das Versammlungsverbot verhängt wurde, ist allerdings trotzdem von Rahman Morina - offenbar in seiner Funktion als Innenminister Kosovos - unterzeichnet. Zeichen für die über allem lastende Spannung sind auch die Übergriffe auf Pressevertreter durch serbische Nationalisten in Kosovo. Als ein Fotograf der slowenischen kommunistischen Jugendzeitung 'Mladina‘ Aufnahmen auf dem Amselfeld bei Kosovo Polje, einer von Serben bewohnten Kleinstadt fünf Kilometer vor den Toren Pristinas, machen wollte, wurde er von serbischen Nationalisten angegriffen. Diese empfanden es offenbar als eine Provokation, daß ein „Slowene“ sich ins „Herzland der Serben“ gewagt hatte. Denn das Amselfeld gilt den Serben als heilige Stätte. 1322 fiel hier Lazar, Fürst des großserbischen Reiches, im Kampf gegen die Türken.

Erste Tote

In Kragujevac (Serbien) wurden am Mittwoch zwei albanische Ladenbesitzer erschossen. Offiziell hieß es, es handele sich um türkische Ladenbesitzer, aber 'Radio Pristina‘ widersprach. Nachdem am Dienstag in Belgrad eine Million Serben für ein „serbisches Kosovo“ demonstriert hatten und der serbische Parteichef Milosevic mit markigen Worten die antialbanische Stimmung hochpeitschte, wußte jeder, daß es Tote geben würde.

Doch in Kosovo selbst herrscht zwischen der albanischen Mehrheit (85 Prozent) und der serbischen Minderheit (13 Prozent) nicht generelle Kriegsstimmung. „Wir leben friedlich zusammen, Serben und Albaner, und kein Milosevic kann uns trennen“, erklärt der Gastwirt in einem kleinen Dorf außerhalb Pristinas unter dem Beifall der etwa 20 albanischen Gäste. Selbst eine ortsansässige Serbin stimmt dem zu. Sie liebe zwar Milosevic, sagt die etwas 50jährig Frau, doch in punkto Albaner habe sie eine andere Meinung. Über 20 Familien leben hier. Acht davon sind serbisch, und von diesen hat nur eine Familie das Dorf verlassen und ihr Haus verkauft - zum Preis von umgerechnet 130.000 DM, fügt der Gastwirt hinzu, und meint dann: „Wir wollen den Sozialismus und das friedliche Zusammenleben der Völker.“

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