piwik no script img

„Ich fühlte mich geschockt - außerdem bin ich verheiratet“

■ Fotograf, der ein nacktes Fotomodell neben einem US-Posten am Checkpoint Charlie ablichtete, wegen Beleidigung verurteilt

Der „Lächerlichkeit preisgegeben“ wurde dieser 23jährige Military-Policeman (MP) der US Armee, der im Februar 1987 am Checkpoint Charlie unfreiwillig zum schmückenden Beiwerk für ein nacktes Fotomodell geworden war. Dieser Auffassung ist jedenfalls die 22.Strafkammer des Landgerichts, die den Urheber des Fotos, den 38jährigen Fotografen Michael Meland, gestern in einem Berufungsprozeß wegen Beleidigung zu 800 Mark Geldstrafe verurteilte. Staatsanwalt Ohlsen und Verteidiger Eisenberg hatten von einem „Sturm im Wasserglas“ und einem „nicht unter Strafe zu stellenden Scherz“ gesprochen und Freispruch beantragt.

Das „anstößige“ Lichtbild war im Rahmen einer Fotoserie für einen Kalender zur 750-Jahrfeier Berlins entstanden. Um die etwas „flau wirkenden“ Sehenswürdigkeiten „künstlerisch“ aufzupeppen, hatte Meland sein Modell Patrizia Kuchenbecker an Siegessäule, Mauer, Olympiastadion und Reichstag nackend vor die Linse geschickt. Das gleiche sollte sich am Grenzübergang Checkpoint Carlie wiederholen. „Für mich gehört die US-Armee zur Absurdität der Stadt wie der Funkturm“, begründete der Angeklagte gestern vor Gericht, warum unbedingt ein MP mit auf dem Foto sein sollte. Nach Feststellung des Gerichts war der 23jährige MP Carl T. von dem Fotografen jedoch völlig überrumpelt worden. Auf die Bitte von Patrizia Kuchenbecker hatte er sich dazu bereiterklärt, sich mit ihr neben dem Postenhäuschen fotografieren zu lassen. Als Carl T. zum ersten Mal in die Kamera Melands lächelte, war Patricia Kuchenbecker noch mit einem schwarzen Ledermantel bekleidet. Das sie ihr gutes Stück beim zweiten Mal lüftete - Meland hatte zuvor verabredungsgemäß bis drei gezählt - bemerkte der MP erst, als die Kamera schon „klack“ gemacht hatte.

Carl T. wurde gestern nicht als Zeuge gehört. In dem vom Vorsitzenden Richter Föhrig verlesenen Polizeiprotokoll hatte er sich zu dem Vorfall wie folgt geäußert: „Mir war klar, daß eine derartige Veröffentlichung für die US -Regierung peinlich wäre.“ Später hatte er - möglicherweise auf Druck von oben - als Begründung für die Strafanzeige nachgeschoben: „Ich fühlte mich geschockt, außerdem bin ich verheiratet“.

Amtsrichter Berger hatte die 800 Mark Geldstrafe in erster Instanz noch damit begründet, daß „weibliche, unbekleidete Personen in Strandbädern überwiegend nicht als beleidigend“ empfunden würden. „Anders verhält es sich allerdings mit der Abbildung eines männlichen bekleideten Menschen neben einer weiblichen unbekleideten Person, insbesondere dann, wenn diese ihren entblößten Körper dem bekleideten Mann entgegenstreckt...“ Föhrig widmete sich gestern lieber den Freispruch-Plädoyers: Verteidiger und Staatsanwalt sollten sich einmal vorstellen, daß Patrizia Kuchenbecker beim Plädoyer mit geöffnetem Mantel neben sie treten würde. „Dann würde das Geheule aber losgehen, daß die Organe der Rechtspflege der Lächerlicheit preisgeben würden“.

plu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen